ESSAYS

















Menschenrechte ecuadorianischer Auswanderer: Mechanismen zu ihrem angemessenen Schutz

Dr. María Elena Moreira

1. Einführung: Innere und äussere Faktoren legaler und illegaler Auswanderung

Ecuador schloss das 20. Jahrhundert ab mit der Verschärfung der schlimmsten wirtschaftichen und sozialen Krise seiner Geschichte. Diese Krise ist unter anderem das Ergebnis der internen wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit und der praktisch allgemein verbreiteten Korruption im öffentlichen und besonders im privaten Bereich. Hinzu kommen äussere Faktoren, die den meisten lateinamerikanischen Ländern gemeinsam sind, als da sind der Verfall der Rohstoffpreise auf den internationalen Märkten, das Schutzzollsystem der Märkte der entwickelten Länder und die rigorosen, von aussen auferlegten Sparprogramme, Faktoren, die eine spürbare Verringerung bei den Indexzahlen der menschlichen Entwicklung erzeugt haben.

Die Krise Ecuadors hat wie die so vieler Länder den Jahren des Fortschritts verbunden mit einer Verbesserung des Lebensniveaus der Einwohner ein Ende bereitet und erschwerte die Beteiligung des Landes an der Weltwirtschaft. Trotz allem handelt es sich nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch um eine moralische, soziale und politische, das heisst, um eine umfassende Krise. Diese so definierte Krise hat die soziale Stabilität gefährdet und begünstigt den Verfall demokratischer Einrichtungen sowie den des zivilen Friedens.

Ausgehend von der internationalen Doktrin zum Schutz der Menschenrechte könnte man wohl argumentieren, dass dieses Panorama eine ernsthafte Verletzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Völker bedeutet, die sich ihrerseits auf den Schutz der politi-schen und zivilen Rechte auswirkt, da das Wohlergehen des Menschen und folgerichtig seine Würde als Person verletzt wurden. Und es ist gerade in diesem Bereich, wo die internationale Verantwortung besondere Bedeutung erlangt, wie auf dem Nationalen Seminar über die Rechte der Auswanderer Ecuadors erwähnt wurde: “wenn der Enwicklungsprozess der Länder von den Auswirkungen der “Globalisierung” und von den grossen Klüften, die die wirtschaftlich mächtigeren Länder von den armen Ländern trennen, beeinflusst wird, was für die nationalen Anstrengungen der Entwicklungsländer zur Verbesserung der Lebensqualität und der Wohlfahrt ihrer Bevölkerungen eine Einschränkung bedeutet.” 1

Als Folge dieser ernsten allgemeinen Krise, die Ecuador in den letzten 3 Jahren durchlebt hatte und immer noch durchlebt, hat sich die Anzahl der Ecuadorianer, die in andere Länder, hauptsächlich nach Europa und den Vereinigten Staaten, auswandern, und das unter illegalen Bedingungen, beträchtlich erhöht. Die legale Auswanderung ist äusserst geringfügig verglichen mit der illegalen Auswanderung. Es gingen ständig Anzeigen von Landsleuten ein, dass sie üble Behandlung und in einigen Fällen Folterungen sowie andere diskriminierende Verhaltensweisen auf Flughäfen und Verschiffungs- oder Verkehrsknotenpunkten zu diesen Ländern erlitten haben. Der Wunsch, im Ausland zu arbeiten, hat in einigen Fällen eine Reihe von Bürgern dazu verleitet, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, nämlich indem sie gefährliche Reisen unternahmen oder auf Wegen gingen, wo sie von Personen, die mit Menschen Handel treiben, ausgebeutet und misshandelt wurden. Anlass zur Sorge gibt die Anzahl der Ecuadorianer, die als Folge ihrer Reisen über solche Wege den Tod fanden.

Das düstere Panorama grosser Gefährdung ecuadorianischer Bürger, die illegal ins Ausland abwandern, sollte zu ständiger Sorge Anlass geben, und seine Verringerung und Ausmerzung müssten schleunigen und vorrangigen Massnahmen von seiten der öffentlichen Hand des ecuadorianischen Staates mit Hilfe der Allgemeinheit unterworfen werden.

Dieser Essay versucht, über dieses Thema zum Nachdenken anzuregen, wobei er den Schwerpunkt auf Massnahmen von seiten des Staates und der Gesellschaft Ecuadors legt und vor allem nach möglichen Lösungen sowohl im Bereich des internationalen Rechts der Menchenrechte als auch in der internen Gerichtsbarkeit und der sozialen Realität des Landes sucht. Da die Krise, die diese Massenauswanderung ausgelöst hat, umfassend ist, müssen auch die Problemlösungen umfassend sein und auf allen Ebenen der Gesellschaft in Angriff genommen werden: im öffentlichen und privaten Bereich, auf Gemeindeebene sowie auf lokaler und individueller Ebene, und das durch Ausarbeitung eines Gesamtprogramms der ganzen Gesellschaft Ecuadors, in welchem Elemente einer an internationale Normen und Prinzipien der Respektierung der Menschenwürde gebundenen Auswanderungspolitik im In- und Ausland enthalten sind.

2. Die prekäre Lage des illegalen ecuadorianischen Auswanderers

2.1. Auswanderungsbedingungen der Aufnahmeländer und Risiken der illegalen Auswanderung

Das internationale Recht erkennt die Hoheitsgewalt an, die jedes Land bei der Bestimmung von Normen zur Regelung der Auswanderung und des Zugangs von Ausländern zu ihren territorialen Gerichtsbarkeiten unterstützt. Aber der Schutz durch die allgemeinen Prinzipien des internationalen Rechts und der Menschenrechte stellt kein Hindernis dar für die Nichteinhaltung der Verpflichtung der Staaten zur uneingeschränkten Respektierung von Menschenwürde, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit eines jeden Bürgers, der sich von einem Land in ein anderes begibt, unabhängig davon, ob seine Papiere in Ordnung sind oder nicht.Die Einwanderungsbedingungen, die die Aufnahmeländer von Auswanderern aus Entwicklungsländern fordern, entsprechen nicht den Tendenzen des freien Marktes und des freien Verkehrs von Personen, wie sie die reichen Länder verfechten. Denn sie sind in höchstem Mass restriktiv und tragen in gewisser Weise zur illegalen Auswanderung bei. Wären die Zugangsbedingungen zu diesen Ländern flexibler und dem Bedarf an Arbeitskräften und an anderen Wirtschaftsfaktoren angepasster, so würde der internationale Menschenhandel beträchtlich abnehmen.

Es ist erwiesen, dass die entwickelten Länder (Europa und die Vereinigten Staaten) in den letzten Jahren Auswanderer angefordert haben und es noch tun, um ihr Wirtschaftswachstum zu fördern. So, “begünstigten sie mit der Nachfrage nach Arbeit auf allen Ebenen der Lohnskala diese Auswanderungswelle, die mit einer der schwersten Wirtschaftskrisen in den Entwicklungsländern zusammenfällt, wo das auferlegte Wirtschaftsmodell das einer wirtschaftlichen Öffnung gleichkommt, gestützt auf makroökonomische Wachstumsnormen, die sich auf Arbeitsausbeutung zugunsten des Kapitals gründen.”2

Wenn die entwickelten Länder nach Auffassung der Vereinten Nationen eine Auswanderung von jährlich mindestens einer Million von Arbeitern über den Zeitraum eines Jahrzehnts hinweg benötigen, um den Rhythmus ihres Wirtschaftswachstums aufrechtzuerhalten und ihre Bevölkerungszahl zu erhöhen, so sind die den Entwicklungsländern auferlegten restriktiven Auswanderungsbedingungen nicht gerechtfertigt. In eingen europäischen Ländern ist man sich dieser Notwendigkeit schon bewusst, und es werden Massnahmen ergriffen, um die Einfuhr von Arbeitskräften zu legalisieren. So werden den ausgewanderten Arbeitskräften alle in ihrer Gesetzgebung verankerten Rechte garantiert, vor allem was Entlohnung und Sozialversicherung anbetrifft.

Obwohl es andere, formalere, Wege gibt, die die Ecuadorianer beschreiten, um im Ausland zu arbeiten, wie der, als Tourist einzureisen und nachher im Lande zu bleiben, ist der “Schleichhandel” oder illegale Menschenhandel nach wie vor der üblichste, und das gerade wegen der Einwanderungsbeschränkungen durch die Aufnahmeländer.

Eine illegale Auswanderung unter solchen Bedingungen bringt den Auswanderer in eine äusserst prekäre Situation. Diese beginnt schon in seiner Heimatgemeinde, wenn der Händler und der Wucherer als Gegenleistung für ihre Dienste dem Auswanderer und seinen Familienangehörigen überzogene und illegale Schulden sowie die Überschreibung seiner Besitztümer auferlegen; im Durchreiseland, wenn er Folterungen oder körperlichen, moralischen und im Fall von Frauen und Kindern sexuellen Misshandlungen bis zu erzwungenem oder ausserrechtlichem Verschwinden ausgesetzt ist; und im Aufnahmeland, wenn ihm nicht alle Arbeitsrechte und die Sozialversicherung, die ihm als Arbeiter gemäss der nationalen Gesetzgebung dieses Landes zustehen, gewährt werden, oder wenn er in der Arbeit ausgebeutet wird und verschiedenen, dem internationalen Recht zuwiderlaufenden Formen von Hörigkeit oder Sklaverei ausgesetzt wird.

Die illegale Auswanderung bringt nicht nur den Auswanderer selbst in eine prekäre Situation, sondern diese Situation wirkt sich auch auf die Familienangehörigen aus, die in den Heimatgemeinden zurückbleiben. Die Folgen illegaler Auswanderung sind: a) Individueller Natur, die sich in einem geringen Selbstbewusstsein und in psychischen Störungen vor allem von Kindern und hauptsächlich von Jugendlichen äussern. Diese gehen von Drogenabhängigkeit, Schulschwänzen und in einigen Fällen bis zum Selbstmord, bedingt durch die Trennung von ihren Eltern und die Gefühlsleere, die diese mit sich bringt. Die im Land zurückbleibenden Kinder und Jugendlichen sind auch körperlicher, psychischer und sexueller Misshandlung durch Verwandte ausgesetzt, die die Verantwortung für sie zu übernehmen haben. b) Familiärer Natur: mit der Auflösung und, was noch schwerwiegender ist, dem Zerfall der Familien (Scheidungen, Trennungen, Kinder, die ihre Eltern nicht kennen usw.). c) Auf Gemeindeebene: kultureller und sozialer Bruch mit der Heimatgemeinde, Brain Drain und Abwanderung qualifizierter und unqualifizierter Arbeitskräfte und im Fall des Auswanderers Schwierigkeit bei der sozialen Anpassung an die neue Umgebung des Aufnahmelandes. 3

2.2. Vorteile legaler Auswanderung

Im Vergleich zur illegalen Auswanderung bringt die legale Auswanderung eine Reihe von Vorteilen mit sich. Da diese sich an die internationalen Menschenrechtsnormen halten, geben sie den Anstoss dazu, dass die legale Auswanderung von allen mit dem Thema befassten sozialen Gremien ermuntert und gefördert wird.

Erstens ermöglicht die legale Auswanderung eine Reise vom Heimatland ins Bestimmungsland ohne die vorhin ausgeführten körperlichen und moralischen Risiken. Ausserdem verschwinden illegaler Handel und Schuldendruck. Denn auch wenn für die Überfahrt Schulden aufgenommen werden müssen, so werden diese dank der legalen Bedingungen und in Verbindung mit legalen Normen zurückgezahlt. Zweitens geniesst der Auswanderer dank eines legalen Arbeitsvertrags alle bürgerlichen und sozialen Rechte, wie sie ihm die interne Rechtsnorm des Aufnahmelandes zugesteht, als da sind Lohn, Sozialversicherung, Gesundheitswesen, Ausbildung für die Kinder usw. Drittens gestaltet sich der Anpassungs- und Eingliederungsprozess in die Aufnahmegemeinde leichter. Denn er ist nicht mehr der Unsicherheit und den Spannungen ausgesetzt, die sich aus der Illegalität ergeben, wo er zu jeder Zeit bestraft oder des Landes verwiesen werden kann.

Bei legaler Auswanderung schliesslich gestaltet sich die Zusammenführung der Familien offener und flexibler, und die Familienangehörigen sind sich sicher, dass diese zustandekommen kann, auch wenn es ein wenig dauert. Das erzeugt eine erhöhte gefühlsmässige Stabilität im individuellen und familiären Bereich. Der Auswanderer ist ausserdem völlig frei, in sein Heimatland zurückzukehren, wenn er es wünscht, und zur Entwicklung seines Landes beizutragen.

Wenn aber die restriktiven Auswanderungsbedingungen der Aufnahmeländer weiterhin bestehen, kann die legale Auswanderung nicht mit der Offenheit und entsprechend den Notwendigkeiten der weltweiten Wirtschaftsentwicklung zustandekommen. Wie wir später sehen werden, sollten sowohl die Heimatländer als auch die Aufnahmeländer Auswanderungsverträge aushandeln, die den normalen Auswandererstrom unter legalen Bedingungen ermöglichen, und das in Verbindung mit den internationalen Menschenrechtsnormen, von denen beide Seiten im Rahmen einer tatsächlichen Gegenseitigkeit der Beteiligten profitieren.

3. Von Staat und Gesellschaft Ecuadors ergriffene Massnahmen

Der Staat von Ecuador hat einige einleitende Massnahmen ergrif-fen, um die Ursachen und Auswirkungen der illegalen Auswanderung zu bekämpfen. Das gleiche hat die Gesellschaft unternommen. Trotzdem fehlt noch eine engere Zusammenarbeit zwischen beiden Bereichen, damit diese Initiativen die gewünschten Erfolge aufweisen können. Eine der wenigen Absprachen unter beiden Bereichen kam zustande mit der Ausarbeitung und Durchführung des Nationalen Menschenrechtsplans von Ecuador, der im Juni 1998 als Staatspolitik akzeptiert wurde, und zwar durch die Formulierung und Verfolgung des Operationsplans zu den Menschenrechten von Auswanderern, Ausländern und Flüchtlingen.

Auf internationaler Ebene

3.1.1. Ecuador hat über das Aussenministerium die Resolution 2001/56, “Schutz von Auswanderern und ihren Familien” befürwortet, die am 24. April 2001 im Schoss der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen akzeptiert wurde. Diese Resolution unterstützt unter anderem die Zusammenführung der Auswandererfamilien; schützt die Menschenrechte der Auswandererfamilien in den Heimatländern unter besonderer Berücksichtigung der Kinder und Jugendlichen, deren Eltern ausgewandert sind; ermöglicht rasch und uneingeschränkt die Überweisung von Einkünften, Gütern und Gehältern der Auswanderer in ihre Heimatländer; schützt die Arbeitsrechte der Auswanderer; ergreift Massnahmen zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen gegen Auswanderer in Durchreiseländern, Häfen, Flughäfen, an Grenzen und Kontrollpunkten; bekämpft den internationalen Handel mit Auswanderern und schützt gegen Ausbeutung und Einschüchterung von seiten der Händler sowie von seiten krimineller Organisationen.

3.1.2. Ecuador ratifizierte kürzlich (im Januar 2002) die Internationale Übereinkunft zum Schutz der Rechte aller ausgewanderten Arbeiter und ihrer Familien, die 1990 im Schoss der Vereinten Nationen akzeptiert und deren Ratifizierung im Generalsekretariat der Vereinten Nationen vollzogen wurde. Dies ist ein bedeutender Schritt zum Schutz ecuadorianischer Auswanderer, da anwendbar während des gesamten Auswanderungsprozesses, das heisst, von der Vorbereitung der Auswanderung, der Ausreise und der Durchreise an bis zum gesamten Aufenthalt und der Ausübung einer besoldeten Tätigkeit im Aufnahmeland, sowie bis zur Rückkehr ins Heimatland oder an den üblichen Wohnsitz.

Der Vertrag stellt den wichtigsten Fortschritt dar, was den Schutz der Rechte für Auswanderer anbetrifft. Denn er stellt Normen zu den grundlegenden Menschenrechten der Auswanderer und ihrer Familien auf und bestätigt sie erneut. Der Text enthält unter anderem folgende Aspekte: er sichert den Schutz grundlegender Menschenrechte der Auswanderer; er erkennt die Möglichkeit an, sich an die Gerichte zu wenden, und das unter den gleichen Bedingungen wie die Bürger desjenigen Staates, der die Auswanderer aufnimmt; er ermöglicht den wirksamen Schutz der Auswanderer mit Hilfe der diplomatischen und konsularischen Vertretungen des Heimatlandes; er erlaubt die Überweisung ihrer Einkünfte in die Heimatländer; er entmutigt die illegale Einwanderung und die unlautere Konkurrenz von Arbeitskräften; er sieht das Verbot kollektiver Ausweisung vor, es gibt nur individuelle Ausweisung, und zwar nach vorangegangener Analyse des Einzelfalls und in Befolgung einer von einer zuständigen Behörde getreu dem Gesetz gefällten Entscheidung, und willkürliche individuelle oder kollektive Festnahme oder Einkerkerung von Auswanderern ist verboten; er sieht ebenfalls Schutznormen für den Auswanderer vor, wenn er aus legalen Gründen festgenommen wurde, das aber unter Beachtung der international anerkannten Prinzipien des entsprechenden Prozesses. Alle diese Grundrechte werden den ausgewanderten Arbeitern und ihren Familien zugestanden, gleichgültig, ob ihre Situation legal ist oder nicht, ob sie Ausweispapiere besitzen oder nicht.

3.1.3. Ecuador unterzeichnete im November 2000 das Abkommen der Vereinten Nationen zum Übernationalen Organisierten Verbrechen und seine Zusatzprotokolle zum illegalen Handel mit Auswanderern zu Lande, zur See und in der Luft und zur Verhinderung des Menschenhandels, besonders von Frauen und Kindern. Diese Dokumente gelten für alle Partnerstaaten und erlauben deshalb die strafrechtliche Verfolgung und Auslieferung internationaler Verbrecher in jedem Mitgliedsstaat. Das heisst, das Prinzip einer allgemeingültigen Gerechtigkeit hinsichtlich der Verletzung von Menschenrechten ist in diesem Vertrag und seinen Protokollen latent vorhanden.

Gleichzeitig mit der Annahme des besagten Abkommens wurde das Zentrum zur Verhinderung des internationalen Verbrechens geschaffen, und zwar unter der Prämisse, dass “die Globalisierung das Umfeld für die Internationalisierung strafbarer Handlungen geliefert hat. Die internationalen Verbrechersyndikate haben den Spielraum ihrer Aktivitäten beträchtlich ausgeweitet, nämlich vom Rauschgift- und Waffenhandel bis hin zur Geldwäsche. Die Schwarzhändler verschieben jährlich bis zu 4 Millionen illegaler Auswanderer und erzielen damit Gewinne, die sich zwischen 5 und 7 Billionen Dollar bewegen. Die zerstörerische Auswirkung der Korruption auf die Wirtschaftssysteme hat auf der ganzen Welt zugenommen.”4 Das Zentrum mit Sitz in Wien ist auf der Suche nach Mechanismen, die die Verhinderung des transnationalen Verbrechens, der Korruption und des illegalen Menschenhandels ermöglicht.

3.1.4. Ecuador und Spanien haben im Januar 2001 das Abkommen zur Regulierung der Auswandererströme unterzeichnet, deren Vorläufer das Abkommen vom 4. März 1964 zur doppelten Nationalität zwischen Ecuador und Spanien, das Abkommen vom Oktober 1963 zur Überwachung der Visumserteilung und das Abkommen von 1960 zur Sozialversicherung waren. Das Dokument gestattet die Legalisierung jener Ecuadorianer, die sich in Spanien befinden oder nach Erfüllung der von beiden Ländern vereinbarten Bedingungen in dieses Land einreisen. Besagte Legalisierung ermöglicht den Erhalt einer Arbeitserlaubnis oder des Wohnsitzes und anderer sozialer Rechte. Dank dieses Abkommens haben bis zum Ende des Jahres 2001 ungefähr 25.000 Ecuadorianer ihre Papiere in Ordnung gebracht.5 Mit Hilfe seiner Kanzlei hat Ecuador Gespräche mit der italienischen Regierung eingeleitet, um ein ähnliches Abkommen zu unterzeichnen. Das Abkommen mit Spanien wird für die Internationale Organisation für Auswanderung eine beträchtliche Verringerung der illegalen Auswanderung auf dem Wege illegalen Menschenhandels zur Folge haben. 6

3.2. Auf nationaler Ebene

3.2.1. In Befolgung der Erklärung und des im Jahre 1993 akzeptierten Wiener Aktionsprogramms zu Menschenrechten verabschiedete Ecuador den Nationalen Menschenrechtsplan mit einer erweiterten und demokratischen Perspektive. Das Dokument stellt einen umfassenden Plan zu zivilen und politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten auf, so wie sie in den internationalen Erklärungen und Verträgen und in der Politischen Verfassung Ecuadors enthalten sind. Was die Rechte der Auswanderer anbetrifft, so greift der Plan den in einem sektorialen Operationsplan gemachten Vorschlag von Bürgern und Staat auf, in dem unter anderem folgende Aspekte enthalten sind: a) Umfassender Schutz der Menschenrechte des Auswanderers im Land des Wohnsitzes und im Heimatland; b) Förderung nationaler Werte im Ausland; c) Stärkung der ecuadorianischen Konsulate; d) Möglichkeiten der Rückkehr für Auswanderer; e) Rechts- und Verwaltungsmassnahmen zur Bekämpfung des illegalen Menschenhandels; f) Fortbildung, Verbreitung und Sensibilisierung für Menschenrechte der Auswanderer bei Staatsbeamten, Menschenrechtsorganisationen und der Gesellschaft im allgemeinen; g) Rechtsschutz für die Familien der Auswanderer; h) Reformierung von Studienprogrammen unter Einbeziehung von Menschenrechten für Auswanderer.

3.2.2.Das Aussenministerium formulierte den Nationalen Plan für Ecuadorianer im Ausland, der nach einer ausgiebigen Befragung von Regierungskreisen, Bürgern und der internationalen Gemeinschaft kürzlich der öffentlichen Meinung vorgestellt wurde. Der Plan greift spe-zifische Aktivitäten zum Schutz der Rechte von Auswanderern auf und versucht, das ecuadorianische Rechtssystem in Sachen Auswanderung zu verbessern. Er enthält ausserdem Aktivitäten wirtschaftlicher, sozialer und produktiver Natur zugunsten von Auswanderern und ihren Familien.

Obwohl erreicht wurde, dass besagte Pläne die Zustimmung von Staat und Bürgern für ihre Formulierung und Akzeptierung gefunden haben, ist es immer noch erforderlich, zur Anwendung verschiedener Aktivitäten zu kommen, die nicht nur den Staat, sondern die gesamte Bürgerschaft mit einbeziehen

4. Weitere Mechanismen zur Verhinderung und Lösung der illegalen Auswanderung

Wie wir schon vorher ausgeführt haben, ist es angesichts der Tatsache, dass die illegale Auswanderung nicht nur wirtschaftliche, sondern auch mit anderen Bereichen verbundene Ursachen und Wirkungen hat, unerlässlich, dass umfassende Mechanismen zu ihrer Verhütung und Ausmerzung vorangetrieben werden. Die von Staat und Gesellschaft insgesamt oder im einzelnen getroffenen Massnahmen sind zwar sehr ermutigend; aber sie waren lediglich darauf ausgerichtet, die dringendsten Probleme der illegalen Auswanderung zu lösen, besonders was ihre rechtlichen Aspekte anbetrifft, ohne jedoch den Ursachen des Phänomens auf den Grund zu gehen. Der Operativplan der Menschenrechte für Auswanderer enthält eine Annäherung an die Hauptursachen des Problems und setzt sich spezifische Ziele zu ihrer Lösung, besonders im Bereich von Bildung und Kultur, wie vorher schon erwähnt wurde.

4.1. Auf rechtlicher Ebene

Obwohl die Verfassungsnorm den Menschenhandel in allen seinen Formen verbietet (Artikel 23, Absatz 4) und die Reform des Artikels 440 des Strafgesetzbuches den Menschenhandel mit Strafe belegt, ist die Straflosigkeit von Verbrecherorganisationen, die Handel mit Auswanderern treiben, offenkundig. Deshalb hält es der Operationsplan Menschenrechte für Auswanderer, Ausländer und Flüchtlinge für notwendig, die nationale Regelung in umfassender Weise mit den von Ecuador eingegangenen internationalen Verpflichtungen in Einklang zu bringen.

Eine dieser Reformen könnte auf die Eintreibung von Geld oder Gütern abzielen, die als Ertrag aus dem Handel mit Auswanderern oder durch Wucher erworben worden sind, was wie der Rauschgifthandel ebenfalls ein Delikt ist. Denn es ist erwiesen, dass in den Ursprungsgebieten der Auswanderer die Schwarzhändler bekannte Personen sind und dass diese über eine bedeutende wirtschaftliche Macht verfügen. Damit diese Reform den gewünschten Erfolg zeitigt, müssen die gebührende Vertraulichkeit der von den Auswanderern gegen Schwarzhändler und Wucherer erstatteten Anzeigen sowie der Schutz der Anzeigeerstatter und Zeugen gewährleistet werden, was zur Zeit aus Furcht vor Repressalien nicht geschieht. Diese Tatsache hat bis jetzt verhindert, dass die Strafreform eine ausreichende Wirkung hat.

Eine weitere wichtige Reform zur Ausmerzung der Straflosigkeit von Menschenhandel ist die von Artikel 37, Absatz 4 des Auswanderungsgesetzes, das die Fälscher von Reisedokumenten zwecks illegalen Handels mit Strafe belegt. Aber solange die Rechtsbrecher nicht angezeigt werden, wird die Straflosigkeit für derartige Verbrechen weiterhin bestehen. Das Aussenministerium hat eine eigenständige Reform zum Thema Reisepapiere in die Wege geleitet, welche grössere Sicherheiten für den ecuadorianischen Reisepass und die Ausstellung eines Dokuments für Auswanderer im Ausland von seiten der ecuadorianischen Konsulate beinhaltet. Diese Initiative ist von der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zu den Rechten von Auswanderern in ihrem Bericht über die Situation in Ecuador positiv beurteilt worden.

4.2. Auf internationaler Ebene

Wie wir schon vorhin ausgeführt haben, ist es für die Förderung der legalen Auswanderung von grundlegender Bedeutung, dass Ecuador mit der Verhandlung und Akzeptierung bilateraler Abkommen zu Migrationsfragen fortfährt, welche den normalen und geordneten Auswandererstrom unter legalen Bedingungen und in Anlehnung an die internationalen Menschenrechtsnormen gestatten und in denen gegenseitige Vorteile unter Bedingungen tatsächlicher Gegenseitigkeit der Partner sowohl mit europäischen als auch mit mittelamerikanischen Ländern und den Vereinigten Staaten festgelegt werden. Die Sonderberichterstatterin hat den Staat von Ecuador dazu aufgimuntert, auf diesem Wege fortzuschreiten.6

Über das Aussenministerium Förderung von Abkommen zur Zusammenarbeit mit ausländischen Universitäten der Ausnahmeländer, mit Menschenrechtsorganisationen dieser Länder, ecuadorianischen Konsulaten und Büros der Volksverteidigung im Ausland, die die Eröffnung von Rechtsbüros gestatten, wo die Ecuadorianer und ihre im Ausland wohnenden Angehörigen über ihre Rechte unterrichtet und beraten werden und ihre Migrations- und Rechtsprobleme lösen können. Diese Büros könnten mit diplomatischen Normen unter der Aufsicht der ecuadorianischen Konsulate arbeiten. Ein solcher Mechanismus ist wichtig, da der Staat nicht in der Lage ist, die Kosten für eine Rechtsanwaltskörperschaft in jedem einzelnan Land, wo die Auswanderer wohnen, zu bestreiten. Diesen Aspekt könnte man ergänzen mit Unterstützung der Universitäten und in Zusammenarbeit mit der Volksverteidigung, die über die Befugnis verfügt, die Menschenrechte der Ecuadorianer im Ausland zu schützen (Artikel 8, Staatsgrundgesetz der Volksverteidigung).

Auf internationalen Foren Aufruf an die Aufnahmeländer zur Ratifizierung des Internationalen Abkommens zum Schutz der Rechte aller Auswandererarbeiter und ihrer Familienangehörigen sowie zur Ratifizierung des Abkommens gegen das übernationale organisierte Verbrechen und seine Zusatzprotokolle. Denn auf diese Weise werden Ursachen und Auswirkungen der illegalen Auswanderung auf zwei Fronten, nämlich am Ausgangs- und Bestimmungsort der Auswanderer, ausgemerzt, und das in erster Linie, um die Schwarzhändler in jedwedem Land der Welt zu verurteilen und zu bestrafen. Förderung von Programmen zum Austausch der Auslandsverschuldung gegen soziale Entwicklungsprogramme für Auswanderer und ihre Heimatgemeinden mit den Aufnahmeländern.

Befürwortung von Gesamtstrategien der Andenländer, die auf das Aushandeln von überregionalen Übereinkünften zu Migrationsfragen mit den Aufnahmeländern ausgerichtet sein sollten, um die legale Auswanderung und einen geordneten Strom von Auswanderern aus den Andenländern zu begünstigen.

Auswanderern aus den Andenländern zu begünstigen. Aufmunterung der Auswanderer zur Anzeigeerstattung gegen Menschenrechtsverletzungen vor konvetionellen und quasi konventionellen Organisationen, die im Rahmen der Vereinten Nationen, der Organisation Amerikanischer Staaten und der Europäischen Gemeinschaft ins Leben gerufen worden waren (Interamerikanische Menschenrechtskommission, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Menschenrechtskomité der Vereinten Nationen, Sonderberichterstattungen, Arbeitsgruppen usw.).

4.3. Auf Verwaltungsebene

Stärkung der institutionellen Kompetenz der Volksverteidigung in den Ursprungsgebieten der Auswanderung, um die Familien der Auswanderer in Sachen Verschuldung zu unterrichten und zu beraten und um ihnen bei der Anzeige von Menschenhändlern und Wucherern Rückendeckung zu gewähren sowie um die illegale Ausreise von Auswanderern über Häfen und Flughäfen mit Unterstützung lokaler Behörden und in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft zu verhindern und zu ermitteln. Ergreifen von Massnahmen auf höchster Ebene durch Polizei- und Gerichtsbehörden mit Hilfe der Bürger zur Verhinderung illegaler Ausreise von Auswanderern und Minderjährigen. Es müssten verwaltungs- und strafrechtliche Bestimmungen festgelegt werden für in solche Delikte verwickelte Staatsbeamte, die auf dem Wege von Bestechung eine illegale Ausreise ermöglichen. Desgleichen sollte man Schwarzhändler, Geldverleiher, Wucherer und Fälscher von Reisepapieren sowie andere Mitarbeiter wie Rechtsanwälte der Wucherer, Transportunternehmer und Personen, die illegale Auswanderer beherbergen, exemplarisch bestrafen. Wichtig ist, dass die lokalen Behörden sich das Problem der illegalen Auswanderung zu eigen machen und Polizeieinsätze durchführen, die die Verbrecherringe zerschlagen. Ausserdem müssten Verwaltungsmassnahmen ergriffen werden, um Reisebüros und ähnliche Privatunternehmen, die am illegalen Handel beteiligt sind, ausfindig zu machen. Wirksame Kontrolle der Ausstellung von Personalien durch das Standesamt und Identifizierung möglicher Fälscher von Dokumenten.

Verbesserung der technischen Infrastruktur und Verstärkung des Personals der Migrationspolizei zur Durchführung einer wirksameren Kontrolle der Ausreise von illegalen Auswanderern und zur Zerschlagung von Händlerringen.

4.4. Auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene

In Zusammenarbeit mit Auswanderervereinigungen und ihren Familienangehörigen Anregung zur Anlage der von den Auswanderern überwiesenen Geldbeträge in produktiven Aktivitäten oder in solchen, die Arbeitsplätze schaffen, und nicht in überflüssigen Ausgaben. Dazu müssen für die Familienangehörigen von Auswanderern Schulungsprogramme durchgeführt werden, damit sie die Geldmittel in Kleinunternehmen oder in produktiven Geschäften anlegen.

Förderung von Entwicklungsprogrammen in den Heimatgemeinden zur Verhinderung illegaler Auswanderung, die das Lebensniveau der Bewohner verbessern helfen. In diesem Sinn hat der Staat einen Entwicklungsfonds für ecuadorianische Auswanderer und ihre Familien entworfen, der in Kürze genehmigt werden wird und der den Zugang zu formalen Krediten erleichtert sowie dem Wucher Einhalt gebietet.

Förderung von Programmen zu psychosozialer Betreuung von Auswandererfamilien, besonders für Frauen, Kinder, Jugendliche und alte Leute. Diese dienen dem Zweck, psychische Probleme und Misshandlungen, die diese Kreise erleiden, zu verringern. Derartige Programme sollten mit solchen staatlichen Einrichtungen koordiniert werden, die mit dem Thema Misshandlung und mit Bürgerorganisationen verbunden sind.

4.5. Auf schulischer und kultureller Ebene

Obwohl Staat und Gesellschaft schon bedeutende Strategien ausgearbeitet haben, wurden bisher noch keine wesentlichen Mechanismen auf schulischem Sektor entwickelt, wie sie im Operativplan der Menschenrechte für Auswanderer im Rahmen des Nationalen Plans für Menschenrechte formuliert worden waren.

Es ist erwiesen, dass in den Ursprungsgemeinden der Auswanderer die illegale Ausreise mit Hilfe des Menschenhandels oder des “Koyotentums” von der Bevölkerung als eine normale Form der Auswanderung angesehen wird. Deshalb ist es von grundlegender Bedeutung, diesem kulturellen Aspekt, der einer der Hauptursachen für die illegale Auswanderung ist, auf den Grund zu gehen. Das Problem besteht darin festzustellen, ob vielleicht der Erhalt von Geldmitteln zur Anhebung des Lebensniveaus einer Bevölkerung die Inanspruchnahme des Menschenhandels sowie das Aufsichnehmen von Risiken, die jene Mitbürger, die sich für eine solche illegale Ausreise und das Zurücklassen der Familien entscheiden, einer prekären Situation unterwerfen, gerechtfertigt ist. Aus den von in den Heimatgemeinden zurückgebliebenen Auswandererfamilien gemachten Aussagen geht hervor, dass die meisten dieser Personen (Frauen, Jugendliche und Kinder) in ihrem Leben keinen Sinn sehen, nachdem ihre Familien aufgrund der Illegalität fortgegangen oder verschwunden waren oder sie diese nicht wiedersehen können, und dass, auch wenn sie beträchtliche Geldmittel erhalten, diese die menschliche Leere nicht ausfüllen können, die die Trennung oder bisweilen der Familienzerfall hervorruft. Selbst wenn die Jugendlichen über beträchtliche Einkünfte verfügen, benutzen sie diese nur, um ihrer Wirklichkeit mit Hilfe von Alkohol oder Drogen zu entfliehen. In anderen Fällen äussert sich diese Gefühlsleere im Fernbleiben von der Schule.9

Deshalb ist es grundsätzlich wichtig, dass der Staat mit Hilfe der Gesellschaft eine vorrangige Strategie zugunsten von Bildung und Sensibilisierung für Menschenrechte in den Heimatgemeinden einleitet. Diese Bewusstseinsbildung muss darauf ausgerichtet werden, die legale Auswanderung zu fördern unter Betonung der Vorteile für den Auswanderer und seine Familie, das Land unter angemessenen und transparenten Bedingungen zu verlassen, und unter Hinweis auf die ernsten Risiken, vor allem auf die psychischen, sozialen und familiären Folgen, die die illegale Ausreise aus dem Heimatland für ihre Menschenwürde und die Stabilität ihrer Familie haben.

Ein solcher Unterricht muss notwendigerweise bei der Sensibilisierung für die Menschenrechte des Auswanderers und seiner Familie anfangen und sich auf die Universitäten bis hinab zu den Grundschulen und Gymnasien erstrecken. Die Information ihrerseits muss an die Gemeinde weitergegeben werden, damit der Einzelne schon von klein auf lernt, ein Leben mit Rechten und in Würde zu führen. Der Operativplan für Auswanderer betont als eines seiner Ziele, die Bevölkerung von Ecuador in den Rechten für Auswanderer zu schulen und zu sensibilisieren, und das in konzertierter Aktion mit staatlichen, internationalen und nicht staatlichen Organisationen sowie mit anderen Vertretern der Gesellschaft. Ebenso sind von grundlegender Wichtigkeit nationale Kampagnen zur Förderung der Menschenrechte mit Hilfe der Massenmedien. Im Fall Ecuador betrachtet der mit dem Bildungswesen verbundene Operativplan für Menschenrechte es als seine Aufgabe, eine Schulreform einzuführen, die die Rechte von Ausländern, Auswanderern und Flüchtlingen in den Lehrplan aufnimmt. Dazu gehören weiterhin die Förderung von Werten und solidarischen Verhaltensweisen, Toleranz und Ablehnung jeglicher Diskriminierung, Kenntnis von Ursachen und Folgeerscheinungen der erzwungenen Auswanderer- und Flüchtlingsströme, Kenntnis der Pflichten und Rechte gegenüber der Gemeinde, dem Vaterland, der Welt und allen Menschen sowie Förderung der Überzeugung, dass die friedliche Verhandlung der beste Mechanismus zur Lösung von Konflikten ist.

Auf universitärer Ebene, vor allem im sozialen Bereich und da wieder besonders in den Rechtsfakultäten, sollten in das Lehrpensum Themenkreise aufgenommen werden, die eine Erklärung für die menschliche Mobilität bieten und die die internationalen und nationalen Dokumente zum Schutz von Auswanderern bekanntmachen.

Schulung von Staatsbeamten und anderen Berufssparten in der Behandlung und dem Schutz der Rechte von Ausländern, Auswanderern und Flüchtlingen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Männern und Frauen sowie des Alters der Bevölkerung. Diese Schulung sollte erfolgen für Beamte der Aussenministerien und der Regierung, für Migrationsbedienstete, Richter, Rechtsanwälte, die Volksverteidigung, für Vertreter der Bürgerschaft, Sozialarbeiter und Mitglieder der Nationalen Polizei. Die zu fördernden Werte enthalten: Toleranz, Ablehnung jeglicher Diskriminierung, Respektierung der kulturellen Identität sowie die in der ecuadorianischen Rechtsordnung und den internationalen Dokumenten einbegriffenen Rechte und Pflichten.

Auf dem schulischen Sektor können die lokalen Behörden und Pfarreien in Zusammenarbeit mit den Schulbehörden eine wichtige Rolle spielen bei der Verbreitung von Menschenrechten in den Heimatgemeinden der Auswanderer.

5. Schlussfolgerungen

Der angemessene Schutz der Menschenrechte für ecuadorianische Auswanderer ist ein vielschichtiger, umfassender und weitreichender Prozess. Da die Ursachen und Folgeerscheinungen der illegalen Auswanderung durchaus spürbar und komplex sind, sind auch die Mechanismen zur Vorbeugung und Lösung dieser Probleme schwierig, aber nicht unmöglich.

Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass es für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte für Auswanderer unerlässlich ist, sich für die menschliche Entwicklung einzusetzen; den Auswanderer sowohl im Land des Wohnsitzes als auch im Heimatland zu schützen; die Schwarzhändler- und Wuchererringe zu zerschlagen, und zwar unter Anwendung politischer Entscheidungen und Ergreifen von Verwaltungsmassnahmen von seiten der obersten Polizei- und Gerichtsbehörden; die ecuadorianischen Konsulate und Büros der Volksverteidigung sowohl in den Ursprungsgebieten als auch im Ausland zu unterstützen; und den Auswanderer, seine Familie und die Gemeinde im ganzen über ihre Rechte und über die Vorteile legaler Auswanderung aufzuklären. Diese mühselige Arbeit ist nicht allein Aufgabe des Staates, sondern der ganzen nationalen Gesellschaft. Die Aufnahmeländer ihrerseits müssen sich dessen bewusst werden, dass die Förderung legaler Auswanderung zugleich eine flexible Politik in bezug auf eine geordnete Einwanderung aus den Entwicklungsländern verlangt.

Wichtig ist, dass der Beitrag des Auswanderers zur Anhebung seiner Lebensqualität und der seiner Familienangehörigen sowie die wirtschaftliche Unterstützung durch Geldüberweisungen als Ertrag seiner Arbeit in angemessener Form kanalisiert wird, und zwar durch Investieren in die örtliche Entwicklung der Heimatgemeinden, wie zum Beispiel durch die Gründung von Kleinunternehmen mit Blick auf eine Wiederbelebung der Wirtschaft durch Schaffung von Arbeitsplätzen und somit von Wohlstand, was sich in einer besseren sozialen Situation für die Familienangehörigen der Auswanderer und anderer Bürger niederschlägt.

Die Unterzeichnung bilateraler Abkommen zwischen dem Land des Auswanderers und dem Aufnahmeland ist ein bedeutender Fortschritt, der von der Gemeinde unterstützt werden sollte. Denn diese nehmen dem Menschenhandel den Wind aus den Segeln und gestatten die Regulierung seines Aufenthalts sowie sichere und gerechte Arbeitsbedingungen.

Selbst wenn der Bürger über die Risiken und Gefahren illegaler Einreisen unterrichtet ist, so besteht die Straflosigkeit für solche Verbrechen doch weiter, wenn die Einzelnen selbst keine Anzeige gegen ihre Urheber erstatten. Schliesslich sollte sich jeder Bürger seiner Menschenwürde bewusst werden und darüber nachdenken, ob sein Leben, seine körperliche, moralische und sexuelle Unversehrtheit sowie seine gefühlsmässige und familiäre Stabilität einem rein wirtschaftlichen Wohlergehen aufgeopfert werden sollen oder ob es sich lohnt, für dieses Wohlergehen im Heimatland zu kämpfen oder unter angemessenen und sicheren Bedingungen ins Ausland abzuwandern.

Quito, 12. Februar 2002.

Anmerkungen

1 Einführungsrede des Botschafters Luis Gallegos, “Denkschriften des Nationalen Seminars über Menschenrechte der ecuadorianischen Emigranten, Cuenca, Februar 2001”, Druck Aussenministerium, Quito 2002.

2 Carrión, Leonardo, Referat “Allgemeine Diagnose der Situation ecuadoriani-scher Auswanderer”, ebda.

3 Schlussfolgerungen der psychosozialen Werkstatt aus den Auswirkungen illegaler Abwanderung auf die Heimatgemeinden, Azogues, Juli 2001. Aussenministerium.

4 Izquierdo, Emilio, Im Nationalen Seminar vorgelegtes Referat über die Menschenrechte ecuadorianischer Emigranten, Aussenministerium, Quito 2002.

5 Quelle: Hauptabteilung des Aussenministeriums für Ecuadorianer mit Wohnsitz im Ausland.

6 Mariátegui, Augusto, Vertreter der OIM: “Denkschriften des Nationalen Seminars über Menschenrechte ecuadorianische Auswanderer.

7 Bericht der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen über Menschenrechte von Emigranten, Genf, Dezember 2001, S. 31.

8 Bericht der Sonderberichterstatterin, ebda., S. 33.

9 Schlussfolgerungen der Werkstatt Psychosoziale Hilfe für die Familien ecuadorianischer Auswanderer, Azogues, Juli 2001.



Kollektivrechte in der Neuen Verfassung von Ecuador aus der Sicht des Internationalen Rechts

Dr. María Elena Moreira

1. Einführung: geschichtliche Entwicklung von Kollektivrechten im internationalen Recht

Um mit diesem Essay beginnen zu können, muss ich erst darauf hinweisen, dass zum besseren Verständnis des Begriffs Kollektivrechte in Ecuador es unerlässlich ist, eine geschichtliche Rückschau auf die Entwicklung dieser Rechte im internationalen Kontext zu halten. Denn es war das internationale Recht, das dieser Rechtskategorie eine grössere Relevanz verliehen hat, als jene, die die nationale Normgebung ihr beimass. Man könnte sagen, das das internationale Recht für Menschenrechte eine notwendige Präambel für die Eingliederung und Anerkennung von Kollektivrechten in der nationalen Gesetzgebung war.

Um eine objektive Sicht der historischen Entwicklung von Kollektivrechten, insbesondere von Rechten für Indianer im internationalen Recht, zu erreichen, muss man die direkten Vorläufer dieser Rechte aufspüren. Obwohl dies Menschenrechte sind, die im Zusammenleben der Gesellschaften latent vorhanden waren, geschah es erst in jüngster Zeit, dass eine doktrinäre Anerkennung dieser Rechte erfolgte. So wurde mit der Schaffung der Vereinten Nationen im Jahre 1945 im Dezember 1948 die Allgemeine Menschenrechtserklärung angenommen. Rudolf Stavenhagen bemerkt dazu, dass “das internationale Recht das Thema Rechte für Indianer im allgemeineren Rahmen der Menschenrechte zur Sprache gebracht hat, dessen Grundstein die Allgemeine Erklärung ist, welche zwei höchst relevante Prinzipien enthält wie Gleichheit und Ablehnung jeglicher Diskriminierung.” 1

Im Jahre 1947 formierte sich der Unterausschuss zur Verhinderung von Diskriminierungen und zum Schutz von Minderheiten, ein Hilfsorgan der Menschenrechtskommission, das Empfehlungen zur Verhindung jeglicher Art von Diskriminierungen und zum Schutz rassi-scher, nationaler, religiöser und sprachlicher Minderheiten abgibt. Man könnte sagen, dass die Tätigkeit des Unterausschusses der früheste Vorläufer einer doktrinalen Anerkennung zu diesem Thema ist.

Der Ausbau ziviler und politischer Rechte (1950-1966) stellt eine individualiste Vorstellung von Menschenrechten dar, so wie sie der Allgemeinen Erklärung zugrunde liegt und typisch ist für westliche Gesellschaften, aber nach Auffassung von Stavenhagen den kulturellen und gemeinschaftlichen Vorstellungen anderer Kulturen und Regionen der Welt nicht entspricht. Aus diesem Grunde wurde zu jener Zeit nicht einmal ein theoretisches Konzept von Kolletivrechten ausgearbeitet.

Der Ausbau wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte (1966-1980) erfolgte auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, der ideologischen Spaltung der Welt und der Nord-Süd-Konfrontation. Aber das Vorhandensein von Kollektivrechten wurde noch nicht deutlich in Augenschein genommen.

Erst kürzlich zu Beginn der achtziger Jahre wurde eine eigentliche doktrinäre Anerkennung von Kollektivrechten in Angriff genommen. Die Beziehung von Staaten zu ihren Völkern hatte sich seit der Kolonialzeit nicht wesentlich geändert. Das Thema Menschenrechte stellt den gültigen und obligatorischen Bezugsrahmen dar für die Diskussion über den Charakter des Nationalstaates in seinen Beziehungen zu indianischen Bevölkerungsgruppen.

Die Erklärung und der Wiener Aktionsplan von 1993 bestätigen die Anerkennung von Kollektivrechten. Denn was früher als eine innere Angelegenheit der Staaten galt, ist heute Thema weltweiter Sorge und Hauptgegenstand des internationalen Rechts. Das Prinzip der Staatshoheit machte der These Platz, dass die Sorge um die Menschenrechte für die internationale Gemeinschaft legitim ist und nicht als Ausrede gebraucht werden kann, das Prinzip der Nichteinmischung oder das der nationalen Hoheit zu verletzen. Die Erklärung erkennt die Rechte von Indianern und Negern, den Wert und die Vielfältigkeit ihrer verschiedenen Identitäten, Kulturen und Formen ihrer Sozialorganisation an (Paragraphen 5 und 20, Kapitel I, und 19-32, Kapitel II).

2. Gegenwärtige Debatte: Individualismus contra Kollektivismus

Obwohl der Kalte Krieg schon seit einigen Jahren beendet worden war, besteht die Debatte über zwei abweichende Vorstellungsweisen fort. Auf der einen Seite die liberale Sichtweise des Westens, dass die Menschenrechte ein individuelles Kennzeichen eines jeden Menschen darstellen, und auf der anderen Seite die Vorstellung von Kollektivrechten bestimmter Menschengruppen, die versichern, dass man ohne diese Anerkennung die individuellen Rechte nicht voll geniessen kann. “In den gemeinschaftlichen Gruppen (Familie, Clan, Dorfgemeinschaft, Stamm oder religiöse Gemeinde) haben nach Auffassung von Stavenhagen die Individuen das Recht auf ihre Würde und darauf, als solche respektiert zu werden. Aber ihre Identität ist eng verbunden mit der Gruppe, zu der sie gehören und der gegenüber sie bestimmte Aufgaben und Verpflichtungen haben.”2 Deshalb kann man den Einzelnen nicht als Gegenstand allgemeiner Menschenrechte betrachten, losgelöst von seiner Ursprungsgruppe. Dieser dem Individualismus entgegengesetzte Kollektivismus hat auch seine Probleme, nämlich dann, wenn die Menschenrechte zum Tragen kommen sollen. Denn diese Gesellschaften sind bisweilen patriarchal, hierarchisch und autoritär, und in ihren werden häufig die Rechte von Kindern, Frauen und Jugendlichen verletzt.”3

3. Das internationale System der Menschenrechte in bezug auf Kollektivrechte

3.1. Allgemeine Menschenrechtserklärung (1948)

Für einige Gelehrte, unter anderem Bronstein und Stavenhagen, ist die Allgemeine Erklärung das bekannteste Menschenrechtsdokument, aber nicht das relevanteste in Sachen Kollektivrecht. Aber obwohl es eine moralische und politisch verpflichtende, wenn auch nicht bindende, Norm ist, enthält es doch von der Internationalen Gemeinschaft allgemein anerkannte Prinzipien des IUS COGENS, wie zum Beispiel das Grundprinzip der Nicht-Diskriminierung (Art. 2) und das spezifische Prinzip des Gemeineigentums (Art. 17).

3.2. Abkommen zu Verhütung und Bestrafung von Völkermord (Dezember 1948)

Dieser für die Staaten bindende und verpflichtende Vertrag definiert Völkermord als einen jeglichen Akt, der begangen wird in der Absicht, ganz oder teilweise eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche zu vernichten, was als Verbrechen an der Menschheit gilt. Man hat versucht, die sogenannte “kulturelle Vernichtung” ebenfalls als Völkermord zu bezeichen, obwohl über diese Frage noch viel debattiert wird.

3.3. Internationale Verträge zu Zivilen und Politischen Rechten (PIDCP) und zu Wirtschaftlichen, Sozialen und Kulturellen Rechten (PIDESC) (1966)

Diese Dokumente, die die in der Allgemeinen Erklärung aufgestellten Rechte weiterentwickeln, sind für die Partnerstaaten bindend. Beide Verträge betonen folgende Aspekte, die mit dem Thema Kollektivrechte verbunden sind:

Grundprinzip: Das Recht der Völker auf freie Entscheidung (Artikel 1 beider Verträge). Ein äusserst umstrittenes Prinzip. Für die einen ist es das wichtigste Menschenrecht, ohne das die übrigen Rechte nicht ausgeübt werden können; deshalb erscheint es als erster Artikel der Verträge. Andere sprechen ihm jeglichen Wert als Menschenrecht ab, da es sich nicht auf Einzelpersonen bezieht, sondern auf “Völker”, deren Definition noch zur Debatte steht. In der Praxis der Vereinten Nationen schützt dieses Recht dem Kolonialismus unterworfene Bevölkerungen und kann nicht geltend gemacht werden gegen souveräne und unabhängige Staaten. Nach Ansicht der UNO werden Minderheiten nicht als “Völker” betrachtet und haben kein Recht auf freie Entscheidung. Über die Definierung des Begriffs “Volk” ist man sich nicht einig. Einige gestehen ihm einen soziologischen Begriff zu, der sich auf Menschengruppen bezieht, die ethnische und kulturelle Identitäten (Sprache, Religion, Sitten und Bräuche) gemeinsam haben; für andere ist es ein politischer und rechtlicher Begriff, bezogen auf die Gesamtheit von Bewohnern eines Territoriums oder eines Staates, unabhängig von seinen ethnischen und kulturellen Elementen. In der Praxis waren die Vereinten Nationen eher dazu geneigt, die zweite Haltung einzunehmen. Die Haltung der ethni-schen und nationalen Gruppen ist die, dass die Gruppe selbst zu entscheiden hat, ob sie ein “Volk” ist oder nicht und ob sie das Recht der freien Entscheidung als grundlegendes Menschenrecht auszuüben wünscht. Prinzip der Nicht-Diskriminierung: Artikel 2, Absatz 2, PIDIESC und Art. 2, Absatz 1, PIDCP.

Rechte ethnischer Minderheiten (Art. 27, PIDCP). Es ist der einzige Hinweis darauf in den internationalen Verträgen. Seine Abfassung ist vage und farblos. Denn er lässt die Möglichkeit offen, dass jeder Staat entscheiden kann, ob es in seinem Territorium Minderheiten gibt oder nicht. Ebensowenig werden den Minderheiten als solchen Rechte zugestanden, sondern nur den Personen, die ihnen angehören (individualistische Sichtweise). Später hat der Unterausschuss den Text der Erklärung zu diesem Thema ausgearbeitet, der im Jahre 1990 bestätigt wurde und der nicht bindend ist, aber eine moralische Kraft besitzt. In ihr wird auch nicht definiert, was Minderheiten sind, denn darüber besteht keine Einigkeit. Aber es wird darauf hingewiesen, dass die Staaten das Vorhandensein und die Identität von Minderheiten zu schützen und Massnahmen zu ihrer kulturellen Entwicklung zu ergreifen haben.

Beide Dokumente haben Schutzkomités eingerichtet. Das Komité des PIDCP nimmt direkte Anzeigen von Privatpersonen gegen Verletzungen des Vertrags entgegen. Das Komité des PIDESC hat diese Befugnis noch nicht. Man ist dabei, über die Annahme eines Ermächtigungsprotokolls zu diesem Zweck zu verhandeln, so wie man es mit dem PIDCP gemacht hat.

3.4. Internationale Vereinbarung zur Ausmerzung aller Formen von Rassendiskriminierung (1965)

Diese Vereinbarung ist besonders relevant für die Rechte von Indianern und Negern. Es wird mit grösserer Ausführlichkeit das Prinzip von Gleichheit und Nicht-Diskriminierung abgewickelt, das aber nur auf dem Gebiet von Rasse, Kultur und nationalem oder ethnischem Ursprung. Das Dokument legt ausserdem zivile und politische sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte fest (Artikel 1, 5, 6 und 7).

Es hat ein Expertenkomité eingerichtet, das die von den Staaten vorgelegten Berichte zur Erfüllung der Vereinbarung auswertet, und es kann Mitteilungen von Personen oder von Personengruppen entgegennehmen und überprüfen, die über einen vom Staat eingesetzten lokalen Organismus eine mögliche Verletzung der Vereinbarung von seiten des Staates zur Anzeige bringen (Art. 14).

3.5. Der Unterausschuss zur Verhütung von Diskriminierungen und zum Schutz von Minderheiten: die Rechte der Indianer

Der Unterausschuss wurde im Jahre 1947 ins Leben gerufen und setzt sich aus 26 unabhängigen Experten zusammen. Zum Schutz von Minderheiten arbeitete er die entsprechende Erklärung aus (1990). Seine Hauptsorge galt der Bekämpfung des Rassismus, und das im Rahmen der antikolonialen Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre und des Kampfes gegen die Apartheid, der im Jahre 1994 seinen Höhepunkt erreichte.

Zur Durchführung seiner Tätigkeit hat der Unterausschuss auf Arbeitsgruppen und Sonderberichterstatter zurückgegriffen. So verfügt er zur Ausarbeitung von Normen über zwei Arbeitsgruppen. Die erste, die im Jahre 1981 geschaffen wurde und aus fünf Mitgliedern (eins für jedes geographische Gebiet) besteht, hat das Projekt zur Erklärung der Rechte der Indianer ausgearbeitet und die Aufgabe übernommen, die Situation der Indianer weltweit in enger Zusammenarbeit mit Indianerorganisationen zu prüfen. Die zweite Gruppe beschäftigt sich mit der Ausarbeitung einer Erklärung zum Recht des einzelnen, ein Land zu verlassen oder darin einzureisen. Weiterhin hat der Unterausschuss Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit Problemkreisen beschäftigen wie: zeitgenössische Formen von Sklaverei und ähnliche Praktiken (Menschenhandel, Prostitution und Ausbeutung von Frauen und Minderjährigen); Rechte von Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten angehören; persönliche Mitteilungen, die in Form von diesbezüglichen Beschwerden bei ihm eingehen.

Die Bildung der Gruppe Rechte für Indianer war von grundlegender Bedeutung, um dieses Thema der UNO vorzulegen. Jüngste Vorläufer waren die Treffen von Indianern 1977 und 1981 in Genf, die mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen mit beratendem Status bei der UNO zu-standegekommen waren. Der Unterausschuss hat über die Arbeitsgruppe ausserdem den Versuch unternommen, eine Definition des Begriffs “Indianer” zu entwerfen. Diese enthält folgende Faktoren, wie sie Stavenhagen aufzeigt:

- Ursprüngliches Vorhandensein und geschichtliche Kontinuität vor dem Eindringen von Fremden und vor der Kolonialherrschaft.

- Eigene Identität, die sich von der der herrschenden Gesellschaft unterscheidet und dieser untergeordnet ist.

- Verbundenheit mit einem eigenen Territorium.

- Bewahrung eigener kultureller Modelle, sozialer Einrichtungen und Rechtssysteme.

Die Arbeitsgruppe analysiert auch das Thema Verträge zwischen Indianern und nationalen Regierungen sowie geistiges Eigentum der Indianer.

4. Spezifische internationale Mechanismen zum Schutz von Kollektivrechten

4.1. Vereinbarung 169 der OIT zu Indianern und Stammesvölkern in unabhängigen Ländern (1989)

Die OIT hat sich seit Jahrzehnten ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt. Jüngste Vorläufer der Vereinbarung waren eine Studie zu Lebens- und Arbeitsbedingungen der Indianer im Jahre 1953 und die Annahme der Vereinbarung 107 vom Jahre 1957 zum Schutz von Indianern und Stammesvölkern in unabhängigen Ländern, die aber eine paternalistische Sichtweise von Integrierung und Assimilierung der Indianer aufwies. Die OIT nahm eine Überprüfung dieser Vereinbarung vor, die schliesslich zur aktuellen, im Jahre 1989 angenommenen, Vereinbarung wurde. Es ist das einzige internationale Rechtsdokument zu Menschenrechten der Indianer. Ecuador bestätigte es im Jahre 1998. Es enthält verschiedene Bestimmungen zu spezifischen Rechten der Indianer wie das der Selbstverwaltung und der kulturellen Bewahrung indianischer Identität; die Respektierung eigener traditioneller Praktiken und ihre eigene gemeinschaftliche Gesetzgebung und Rechtsprechung.

4.2. Projekt Erklärung der Rechte für Indianer im Rahmen der Vereinten Nationen

Sie enthält 46 Artikel und wird von den Staaten im Rahmen der Menschenrechtskommission überprüft, nachdem sie vom Unterausschuss gebilligt worden war. Sie versichert, dass die Indianer gleiche Rechte wie alle übrigen Menschen haben und schliesst verschiedene für die ethnischen Autonomien relevante Bestimmungen ein, als da sind die wichtigsten:

- Recht auf freie Entscheidung. Diesbezüglich sollen sie das Recht auf Autonomie und Selbstverwaltung in Fragen haben, die mit ihren inneren und lokalen Angelegenheiten verbunden sind.

- Bewahrung und Stärkung ihrer eigenen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Merkmale und ihrer Rechtssysteme.

- Kollektives Recht auf Frieden, Freiheit und Sicherheit sowie auf Schutz vor Völkermord oder jedem anderen Gewaltakt.

- Das Recht darauf, nicht Gegenstand von Völkermord und kultureller Vernichtung zu sein sowie auf Verhütung und Wiedergutmachung solcher Akte.

- Recht auf Entwicklung.

- Besitz, Kontrolle und Nutzung ihrer Ländereien und Territorien.

- Das Recht darauf, ihre eigene Staatsbürgerschaft gemäss ihrer Sitten und Traditionen zu bestimmen.

Das Recht auf freie Entscheidung ist einer der umstrittendsten Punkte. Die unbegründete Furcht der Regierungsvertretungen, die den Debatten beiwohnen, besteht darin, dass dieses Recht zu einer Zersplitterung des existierenden Staates führen könnte.

4.3. Projekt Interamerikanische Erklärung zu den Rechten der Indianer

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat das Thema schon bearbeitet, und zwar mittels dieses Projekts, das das Ergebnis von Beratungen mit Regierungen und Indianerorganisationen ist. Die interamerikanischen Dokumente zum Schutz der Menschenrechte erwähnen nicht ausdrücklich die Rechte der Indianer. Von daher das Interesse des regionalen Systems an der Annahme dieses schon von der CIDH gebilligten Dokuments, das verschiedene Elemente der Vereinbarung 169 der OIT und des Projekts Erklärung der UNO aufgreift, als da sind das Recht auf Selbstregierung, Verwaltung und Kontrolle ihrer inneren Angelegenheiten.

4.4. Erklärung von Macchu Picchu zu Demokratie, Rechten der Indianer und Kampf gegen die Armut

Angenommen von den Andenländern im Juli 2001, betont diese Erklärung die Anerkennung kultureller und ethnischer Vielfalt und die Unterstützung aller Bemühungen zu Förderung und Schutz der Rechte der Indianer: Bewahrung ihres Kulturerbes, ihrer traditionellen Medizin, des kollektiven geistigen Eigentums sowie die Möglichkeit, gewählt zu werden und öffentliche Ämter zu bekleiden. Jedoch wird das Recht auf Selbstregierung in lokalen Angelegenheiten nicht anerkannt. Die Erklärung verpflichtet sich zur Anregung und Billigung der Interamerikanischen Erklärung zu den Rechten der Indianer.

4.5. Andine Menschenrechtscharta

Seit dem Jahre 2000 hat sich Ecuador der Herausforderung gestellt, eine Andencharta zu Förderung und Schutz der Menschenrechte auszuarbeiten. Diese Charta wurde am 26. Juli 2002 in Guayaquil gebilligt, und zwar nach vorheriger Befragung der Gesellschaft und der Regierungen der fünf Länder. In der Charta werden die Identität und Interkulturalität der Andenstaaten und die Absicht, Rassismus und Diskriminierung zu bekämpfen, anerkannt. Es wird auch eine Unterscheidung getroffen zwi-schen Indianern und Afroamerikanern sowie zwischen kulturellen und ethnischen Minderheiten der Länder. Grundsätzlich hervorgehoben wird die Festschreibung nicht nur der individuellen Rechte der Mitglieder indianischer Völker, sondern auch der jedem Volk eigenen kollektiven Rechte wie zum Beispiel Bewahrung ihrer eigenen Formen von Sozialorganisation und die Ausübung von Autorität, was man als politische Autonomie oder interne bzw. lokale Selbstregierung im Einklang mit anderen bisher studierten Projekten deuten könnte. Als Neuheit eingefügt wurden die Handhabung der biologischen Vielfalt sowie die Verwaltung und Nutzung natürlicher Reichtümer, die sich auf ihren Ländereien befinden.

4.6. Amerikanische Vereinbarung zu Menschenrechten und Rechtsnorm des Interamerikanischen Systems

Die Amerikanische Vereinbarung erkennt den Indianern nicht ausdrücklich Rechte zu. Ebensowenig tut dies das Protokoll von San Salvador zu Wirtschaftlichen, Sozialen und Kulturellen Rechten, da alle Bürger der Partnerstaaten einschliesslich Indianer gleiche Rechte geniessen (indivi-dualistische Sichtweise). Dennoch haben in der Praxis sowohl die Kommission als auch der Gerichtshof einen juristischen Präzedenzfall geschaffen, indem sie Fälle zu Indianern und Verletzungen ihrer in der Vereinbarung verankerten Rechte überprüft und gelöst haben. Das Interessante an diesen Fällen besteht darin, dass sie als Kollektivgruppen und nicht als Einzelpersonen präsentiert und analysiert worden sind.

Trotzdem besteht nach Meinung von Ariel Dulitzky “bei der Praktik der Kommission keine Klarheit darüber, ob die Indianer eine Minderheit, ein Volk, eine ethnische Gruppe, eine Bevölkerung usw. sind. In bestimmten Fällen oder Berichten hat die Kommission folgende verschiedene Möglichkeiten in Erwägung gezogen: Minderheit (Miskitos, Nicaragua); Volk (Mapuche, Chile); Stamm (Aché, Paraguay); Bevölkerung (Maya, Guatemala).”4

Die Kommission wies darauf hin, dass es für indianische Bevölkerungsgruppen wichtig ist, eine gewisse Autonomie zu geniessen. Aber sie hat nicht ausdrücklich das Recht auf Selbstbestimmung der Indianer anerkannt. Ausserdem hat sie das Thema Landbesitz mit der Bewahrung der Territorien der Ahnen gekoppelt und hat die Anwendung anderer internationaler Dokumente, die nicht zum regionalen Bereich gehören, empfohlen, wie den PIDCP und das Abkommen 169 der OIT. Sie hat sich auch mit dem Recht auf politische Beteiligung der Indianer und ihrer Organisationen beschäftigt.

Der einzige vom Interamerikanischen Gerichtshof gelöste Fall ist der der Indianergemeinde Aloeboetoe von Surinam, in welchem man sich auf das Gewohnheitsrecht dieser Bevölkerungsgruppe hinsichtlich ihrer kollektiven Identität bezog; das heisst, er akzeptierte die Gewohnheit auch gegenüber der internen Gesetzgebung und legte die Bedingungen für ihre Zulassung fest.

5. Die Kollektivrechte in der Verfassung von Ecuador

5.1. Allgemeine Prinzipien

Zum früheren Artikel 20 der Verfassung (heute Artikel 17), der sich auf die freie Ausübung von Rechten bezog, hat man den Satz “ohne jede Diskriminierung” hinzugefügt. Was die Anwendbarkeit der Verfassungsrechte anbetrifft (früher Artikel 21), so gestattet der Artikel 18 der neuen Verfassung, dass auch die in den geltenden internationalen Dokumenten festgelegten Rechte und Garantien direkt und unmittelbar von und vor jedem Richter, Gericht oder Behörde anzuwenden seien.” Die Reform verhilft dazu, dass Richter und Gerichte weniger abgeneigt sind, die internationalen Normen auf konkrete Fälle anzuwenden, und erleichtert die direkte Anwendung internationaler Verträge zu vom ecuadorianischen Staat ratifizierten Kollektivrechten. Was die Verpflichtung des Staates zur Entschädigung von Privatpersonen für Menschenrechtsverletzungen anbetrifft, so fügt Artikel 20 der neuen Verfassung hinzu, dass nicht nur die Behörden des Staates, sondern auch “seine Abgeordneten und Konzessionsinhaber zur Entschädigung von Privatpersonen für Nachteile verpflichtet sind, die sie ihnen verursachen als Folge unzureichender Dienstleistung oder von Handlungen seiner Funktionäre bzw. Staatsangestellten in Ausübung ihres Amtes.” Der Zusatz ist wichtig, da nicht nur die staatlichen Behörden in dieser Sache Verantwortung tragen, sondern auch jene natürlichen oder juristischen Personen, die trotz vertraglicher oder rechtlicher Gebundenheit unzureichende öffentliche Dienste leisten, wodurch den Bürgern in ihren Grundrechten Schäden erwachsen. Der Artikel 193 der Verfassung weist auch darauf hin, dass eine dem Richter oder Magistrat anzulastende Verzögerung in der Rechtsprechung vom Gesetz bestraft werden sollte. Die Norm erlangt ein besonderes Gewicht im Fall von Verletzung kollektiver Rechte, konkret des Rechts auf eine gesunde Umwelt sowie der Verbraucher- und Benutzerrechte, die in manchen Fällen unzureichenden Dienstleistungen ausgesetzt sind. Einer der grössten Fortschritte der gegenwärtigen Verfassung in bezug auf Rechte und Garantien für Personen ist die Klassifizierung der Rechte in zivile, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle sowie kollektive Rechte, wie sie ausdrücklich und gemäss der gültigen Doktrin des internationalen Rechts für Menschenrechte eingeführt wurde. Die meisten der in dieser Klassifizierung garantierten Rechte waren zwar schon in der vorhergegangenen Verfassung anerkannt, aber in sehr allgemeiner und ungeordneter Weise, wobei mehr Wert gelegt wurde auf zivile und politische als auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Diese neue Struktur stellt eine ausgesprochene Anerkennung der Prinzipien von allumfassender Geltung und Vollständigkeit aller Menschenrechte dar, denen zufolge die genannten Rechte dieselbe Bedeutung und Hierarchie aufweisen und folglich gleichen und wirksamen Schutz verdienen.

5.2. An Kollektivrechte gebundene bürgerliche Rechte

Was die Gleichheit vor dem Gesetz anbetrifft, so ist jede Diskriminierung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Ausrichtung, Gesundheitszustand, Behinderung oder Andersartigkeit jedweder anderer Natur (Art. 23, Absatz 3) ausdrücklich verboten. Durch die Einfügung des Verbots von Diskriminierung aus besagten Gründen, die in der vorigen Verfassung nicht ausdrücklich gekennzeichnet worden waren, erweitert sich der Bereich des Schutzes auf die Rechte gefährdeter Gruppen wie ethnische Minderheiten, Homosexuelle und Lesbierinnen, Personen, die sich der Diskriminierung wegen Krankheiten wie AIDS ausgesetzt sehen, sowie Behinderte. Mit der Hinzufügung der Formulierung “oder Andersartigkeit jedweder anderer Natur” stimmt die Verfassung mit dem überein, was von internationalen Verträgen zu Menschenrechten wie der Amerikanischen Vereinbarung zu Menschenrechten (Artikel 1.1) und dem Internationalen Pakt zu Zivilen und Politischen Rechten (Artikel 2.1) vorgezeichnet worden war, welche die Diskriminierung wegen “jedweder anderer sozialen Lage” verbieten.

Ebenfalls eingeführt wurde das Recht auf freie Wahl von Gütern und Dienstleistungen (Art. 23, Absatz 7). Bezüglich dieses Aspekts hat die neue Verfassung in einem Sonderabsatz die Rechte des Verbrauchers (Art. 92) hinzugefügt. In diesem Absatz wird bestimmt, dass aufgrund eines Sondergesetzes Mechanismen zu Qualitätskontrolle, Vorgehensweisen zum Verbraucherschutz, Wiedergutmachung und Entschädigung für Mängel, Schäden und schlechte Qualität von Gütern und Dienstleistungen sowie für die nicht durch Katastrophen, zufällige Ereignisse oder höhere Gewalt verursachte Unterbrechung öffentlicher Dienstleistungen und Strafen für die Verletzung solcher Rechte eingerichtet werden sollen. Diese Garantien waren von der vorherigen Verfassung ebenfalls nicht anerkannt worden. Deshalb gewährt ihre Einführung den Bürgern einen wirksameren Schutz, besonders dann, wenn öffentliche Grunddienstleistungen wegen Streiks und Aussperrungen von Angestellten des öffentlichen Dienstes unterbrochen werden, was ernsthafte Folgen für die Betreuung der am meisten benachteiligten Bevölkerungskreise nach sich zieht.

Man hat in das Recht der Verteidigung insbesondere die Verpflichtung des Staates aufgenommen, öffentliche Verteidiger zum Schutz von Indianergemeinden, Arbeitern, Frauen und verlassenen Minderjährigen oder Opfern innerfamiliärer oder sexueller Gewalt und von jedem, der über keine Mittel verfügt, einzusetzen. Damit wird, wenn auch nur theoretisch, eine der Empfehlungen der Internationalen Menschenrechtskommission in ihrem Bericht über Ecuador von 1996 erfüllt, welche die Aktion öffentlicher Verteidiger zum Schutz der anfälligsten Gruppen und die Pflicht des Staates zur Erhöhung der Anzahl dieser Beamten auf nationaler Ebene vorschlug. Hinsichtlich dieses Aspekts sah sich der Staat Schwierigkeiten wirtschaftlicher Art gegenüber, um die vorgeschlagene Erhöhung durchzuführen.

Eine weitere Norm, die in der vorigen Verfassung nicht autorisiert worden war, nimmt Bezug auf das Recht einer jeden Person, rechtzeitig und angemessen in ihrer Muttersprache über gegen sie eingeleitete Aktionen (Artikel 24, Absatz 12) informiert zu werden. Damit bietet man Minderheiten und ethnischen Gruppen, die eine von der offiziellen Sprache verschiedene Sprache sprechen, einen umfassenderen Schutz ihrer Rechte, und zwar dadurch dass ihre Verteidigung in ihrer eigenen Sprache erfolgt. Das wiederum trägt zur Verringerung von Diskriminierung bei, wie sie sonst unter diesen Umständen gemeinhin in der Rechtspflege üblich ist.

5.3. An Kollektivrechte gebundene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Der Norm, die das Recht der Arbeiter auf Streik festlegt, wurde ein Abschnitt beigefügt, welcher verbietet “die Lahmlegung, unter welchem Vorwand auch immer, der öffentlichen Dienste, vor allem von Gesundheit, Bildungswesen, Rechtswesen und Sozialversicherung; Stromversorgung, Trinkwasserversorgung und städtische Kanalisation; gerichtliche Verfolgung, Transportwesen und Kraftstoffauslieferung; öffentliche Transportmittel und Fernmeldewesen. Das Gesetz hat die entsprechenden Strafen festzulegen” (Artikel 35, Absatz 10, dritter Abschnitt). Die Reform war zwar schon in die vorige Verfassung aufgenommen worden (R.O.199, 21.11.97), aber man hat ihr die Bereiche Rechtspflege und Sozialversicherung sowie die Bezeichnung “öffentlicher” Dienst beigefügt, was in der genannten Reform nicht ausdrücklich dargelegt worden war. Aus diesem Grund konnte sie dahingehend ausgelegt werden, dass den Angestellten der Privatwirtschaft, die mit solchen Diensten betraut sind, auch diese Lahmlegung verboten war. Diese Einschränkung des Streikrechts in der öffentlichen Hand steht im Einklang mit Artikel 92 der gegenwärtigen Verfassung, der die Auferlegung von Strafen für die Bediensteten sowie für die Bürger und Verbraucher Entschädigungen für die Unterbrechung öffentlicher Dienste bestimmt, es sei denn, dass diese durch Zufall oder höhere Gewalt eingetreten ist. Damit wird ein Problem gelöst, das in der ecuadorianischen Gesellschaft zu heftigen Debatten geführt hatte, und zwar in dem Sinn, dass, nur um das Streikrecht der öffentlichen Bediensteten sicherzustellen, man das Recht auf Gesundheit und in einigen Extremfällen Leben und körperliche Unversehrtheit aufopfern könnte, letzteres vor allem von Personen im einzelnen betrachtet und mit geringeren Geldmitteln ausge-stattet, denen nichts anderes übrigbleibt, als die vom Staat angebotenenen öffentlichen Dienste in Anspruch zu nehmen. In der vorigen Verfassung war das Recht auf Gesundheit in verstreuten Normen anerkannt (Artikel 22, Absatz 15, Artikel 36 und Artikel 42, Absatz 2) worden. Diese waren mit den bürgerlichen Rechten, den Rechten der Familie und der Sozialversicherung gekoppelt. Heute widmet die Verfassung diesem Grundrecht ein ganzes Kapitel, wodurch es ihm ein grösseres Gewicht verleiht und es mit Bereichen wie dem Umweltschutz verbindet, um seine Nutzniessung wirksamer zu gestalten. So bestimmt die Grundcharta: “der Staat hat das Recht auf Gesundheit, seine Förderung und seinen Schutz zu garantieren, und zwar durch den Ausbau von Ernährungssicherung, Trinkwasserversorgung und Sanierungsmassnahmen, Gestaltung einer gesunden Umgebung für Familien, am Arbeitsplatz und in der Gemeinde, und durch ständigen und ununterbrochenen Zugang zu Gesundheitsdiensten entsprechend den Prinzipien von Gerechtigkeit, Allgemeingültigkeit, Solidarität, Qualität und Effizienz.” Zu diesen letzten Prinzipien, die schon in der vorigen Verfassung anerkannt worden waren, hat die neue Verfassung das Prinzip der Qualität hinzugefügt.

Eine weitere interessante Reform ist die, die folgende Verfügung enthält: “der Staat hat die Verbreitung der traditionellen und alternativen Medizin anzuerkennen, zu respektieren und zu fördern, eine Verfügung, deren Befolgung vom Gesetz geregelt werden soll; und er hat dem wissenschaftlich-technologischen Fortschritt im Gesundheitswesen unter bioethischen Prinzipien Impulse zu verleihen” (Artikel 44). Die so dargestellte Norm könnte den Eindruck erwecken, als wären die Anwendung alternativer Medizin und und die wissenschaftlichen Fortschritte auf diesem Gebiet ethischen Prinzipien unterworfen, deren Allgemeingültigkeit ein ausgedehntes Feld für eine rechtliche und morali-sche Auslegung schaffen könnte. Trotzdem bedeutet es einen grossen Fortschritt, dass die Anwendung alternativer Medizin verfassungsmässig anerkannt werden soll.

Was das Recht auf Kultur anbetrifft, so wird die Interkulturalität gefördert, die den Staat dazu verpflichtet, seine Politik und seine Institutionen entsprechend den Prinizpien von Gleichberechtigung und Gleichheit der Kulturen zu integrieren (Artikel 62). Damit werden die Kulturen- und Völkervielfalt des ecuadorianischen Staates ausdrücklich anerkannt und folglich in erster Linie die Rechte von Indianern und Afroamerikanern. Zum ersten Mal wird in eine Verfassung das Recht auf Teilnahme zu gleichen Bedingungen und mit gleichen Chancen an Gütern, Dienstleistungen und kulturellen Veranstaltungen aufgenommen.

Ausdrücklich wird anerkannt, zumal da in der Tat schon diesbezügliche Initiativen ergriffen worden waren, ein interkulturelles zwei-sprachiges Bildungssystem, in welchem, wie die vorige Verfassung schon bestimmt hatte, die Benutzung als erster Sprache die der jeweiligen Kultur und die des Spanischen als Sprache interkultureller Beziehung beibehalten wird (Artikel 69).

In die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte werden zum ersten Mal Wissenschaft und Technologie der Kommunikation (Artikel 80 und 81) mit einbezogen. Zur Verbesserung der Produktivität werden auf allen Bildungsebenen die umwelterhaltende Handhabung natürlicher Ressourcen und die Befriedigung von Grundbedürfnissen der Bevölkerung vorangetrieben. Man erkennt das kollektive Wissen der Ahnen an. Die neuartigste Bestimmung, die mit den Garantien des bür-gerlichen Rechts im Einklang steht, ist das “Verbot von Werbung, die in welchem Medium auch immer Gewalt, Rassismus, Sexismus, religiöse oder politische Intoleranz und was sonst die Menschenwürde beeinträchtigt, begünstigt.” Man hofft, dass diese Norm von den sozialen Massenmedien vollständig erfüllt wird, welche unter dem Vorwand einer fehlenden Zensur undifferenziert Informationen verbreiten, die gegen diese Rechte verstossen und die in erster Linie geschlechtlicher und rassischer Diskriminierung Vorschub leisten.

5.4. Kollektivrechte im eigentlichen Sinn in der neuen Verfassung

Was die Kollektivrechte als solche angeht, so werden folgende anerkannt: Die Rechte von Indianern und Negern oder Afroaecuadorianern. Im Gegensatz zur tief verwurzelten Vorstellung, dass wir alle völlig gleich sind, verkündet die neue Verfassung zum ersten Mal die ausdrückliche Anerkennung von Rechten für Gruppen von Indianern und Negern im Land. Schon die vorige Verfassung wies darauf hin, dass der Staat von Ecuador plurikulturell und ein Vielvölkerstaat ist, und das wird in den neuen Normen beibehalten.

Die Urheber der neuen Verfassung konnten sich über den plurinationalen Charakter des ecuadorianischen Staates nicht einigen. Das geht aus der Lektüre von Artikel 83 der Charta hervor, die darauf hinweist, dass “die Indianer und Neger oder Afroecuadorianer ein Teil des ecuadorianischen Staates sind, der eine Einheit bildet und unteilbar ist.” Aber die Tatsache, dass ein Sonderkapitel zugunsten der Rechte dieser Gemeinschaften (Artikel 84 und 85) ausgearbeitet wurde, ist ein bemerkenswerter Fortschritt. Denn damit wird indirekt zugegeben, dass kulturelle Vielfalt der nationalen Einheit keinen Abbruch tut.

Selbst die neue Charta bestimmt, dass das entsprechende Gesetz es sich zur Aufgabe zu machen hat, Regierung und Verwaltung der von Indianern und Afroecuadorianern bewohnten Territorien zu organisieren (Artikel 241), und zwar “durch die Bezeichnung “territoriale Abgrenzung von Indianer- und Afroecuadorianerland”, im Rahmen von Titel XI bezüglich der “Territorialen Organisation und Dezentralisierung”, der “Sonderregelungen”, unter dem Hinweis darauf, dass “aus demographi-schen und umweltbedingten Erwägungen Sonderregelungen der Territorialverwaltung bestehen müssen.. Zum Schutz der dieser Sonderregelung unterstehenden Gebiete können Rechte in bezug auf interne Wanderbewegungen, auf Arbeit und auf jede andere Aktivität, die der Umwelt schaden könnten, eingeschränkt werden. Das Gesetz hat jede Sonderregelung einer Norm zu unterwerfen” (Artikel 238, erster Abschnitt).

Um die Einschränkungen bestimmter, im vorigen Abschnitt genannter Verfassungsgarantien zu mildern, sieht die Verfassung vor, dass die von dieser Einschränkung betroffenen Bewohner entschädigt werden sollen, und zwar durch bevorzugten Zugang zu den verfügbaren natürlichen Reserven und durch die Möglichkeit zur Bildung von Verbänden, die Eigentum und Wohlfahrt der Familien sicherstellen. Die Festschreibung dieser neuartigen Normen bedeutet, dass die indianischen und afroecuadorianischen Präfekturen genauso autonom sind wie die Stadtverwaltungen und dass sie für Organisation und Funktionieren der öffentlichen Dienstleistungen sowie für die Beteiligung an Ausarbeitung, Genehmigung und Ausführung von Arbeiten zur Infrastruktur und Entwicklung einschliesslich der sich daraus ergebenden Einkünfte verantwortlich sind. Der wichtigste juristische Präzedenzfall, der zur Billigung dieser Bestimmungen beitrug, ist die Tatsache, dass der ecuadorianische Staat im April 1998 das Abkommen 169 der OIT zu Kollektivrechten für Indianer ratifiziert hatte.

Zu den wichtigsten Rechten indianischer und afroecuadorianischer Gemeinschaften zählen: Beibehaltung ihrer Identität im geistlichen, kulturellen, sprachlichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bereich; Bewahrung und Aufrechterhaltung des Besitzes der Ahnen und des unverjährbaren Eigentums der Gemeindeländer, die unveräusserlich, beschlagnahmefrei und unteilbar zu sein haben ausser im Fall der Befugnis des Staates, sie als öffentlich nutzbar zu erklären, die aber von der Zahlung von Grundstückssteuer befreit sind; Teilhabe an Nutzung, Nutzniessung, Verwaltung und Bewahrung der erneuerbaren natürlichen Reserven, die sich auf ihren Ländereien befinden; Befragtwerden bei Projekten zur Ausbeutung dieser Reserven, die ihnen im Hinblick auf Umwelt und Kultur schaden können, Beteiligung an ihren Gewinnen und Erhalt von Entschädigungen für durch sie verursachte soziale und umweltbedingte Nachteile; Garantierung des kollektiven geistigen Eigentums ihrer althergebrachten Kenntnisse; Bewahrung, Entwicklung und Verwaltung ihres kulturellen und geschichtlichen Erbes; Bewahrung ihrer Kenntnisse und Praktiken der traditionellen Medizin; Bewahrung und Fortführung ihrer traditionellen Formen des Zusammenlebens und ihrer Sozialorganisation (in die gewisse Rechtspflegefunktionen sowie Anwendung von Normen und eigene Vorgehensweisen bei der Lösung von Konflikten gemäss ihrer Sitten oder ihres Gewohnheitsrechts mit einbezogen sind, sofern sie nicht im Widerspruch stehen zur Verfassung, den Gesetzen, der öffentlichen Ordnung und den Menschenrechten, Art. 191 und Art. 84, erster Abschnitt). Diese sehr aufschlussreiche Erläuterung läuft im Grunde genommen darauf hinaus, dass die Anerkennung kultureller Werte nicht die Verletzung von in der Verfassung und in den internationalen Verträgen garantierten Grundrechte bedeuten darf. Die auf diese Weise festgelegten Kollektivrechte stellen eine klare Anwendung der Bestimmungen der Vereinbarung 169 der OIT dar.

Das Recht der Bevölkerung auf Leben in einer gesunden und ökologisch ausgewogenen Umwelt, welches eine bewahrende Entwicklung garantiert (Artikel 86, erster Abschnitt), ist ein weiteres, in der neuen Verfassung garantiertes Kollektivrecht, dessen allgemeiner Wortlaut schon in der vorigen Verfassung formuliert worden war, allerdings unter Hinzufügung der Verpflichtung des Staates, den Naturschutz zu garantieren, was dieser in Sondergesetzen vorgesehenen Verpflichtung ein grösseres Gewicht verleiht. Das Verdienstvolle der neuen Verfassung ist, dass das Thema Umwelt auch in anderen Verfassungsnormen enthalten ist, wie das, was sich auf die Rechte der Indianer- und Negergemeinschaften, auf Wissenschaft und Technologie und auf zivile Garantien der Bürger bezieht (Art. 23, Absatz 6) und was zum ersten Mal als ein Gesetz bewertet wird, das den individuellen Bereich überschrei-tet und die gesamte Gemeinschaft betrifft. Der neue Text behält Normen des vorhergegangenen bei, vor allem solche zu denjenigen Aspekten des Umweltschutzes, die als zum öffentlichen Vorteil betrachtet werden und denen man die Wiederherstellung degradierter Naturräume hinzugefügt hat, Aspekte, die von vorangegangenen Verfassungen nicht erwähnt worden sind.

Beibehalten werden solche Normen, die die Typisierung admini-strativer, ziviler und strafrechtlicher Verstösse durch dem Umweltschutz zuwiderlaufende Handlungen und Unterlassungen (Art. 87) bestimmen; Verbot von Herstellung, Einfuhr, Besitz und Gebrauch chemischer, biologischer und nuklearer Waffen, wobei hinzugefügt wird, dass der Staat diese Aktivitäten einer Norm zu unterwerfen hat (Artikel 90) und es seine Verantwortung und Pflicht ist, Privatpersonen für dadurch verursachte Umweltschäden zu entschädigen (Artikel 91).

Die in Artikel 89 der neuen Charta festgelegten Massnahmen sind wahre Neuheiten auf diesem Gebiet, denen zufolge der Staat dazu verpflichtet ist, im öffentlichen und privaten Bereich die Nutzung ökologisch sauberer Techniken und nicht umweltverschmutzender alternativer Energien zu fördern; um für diejenigen, die ökologich saubere Tätigkeiten ausüben, Steueranreize zu schaffen; um die Verbreitung, das Experimentieren mit, die Nutzung, Vermarktung und Einfuhr genetisch veränderter Organismen zu regulieren. Diese Norm steht in Einklang mit der Bestimmung, auf die wir uns schon hinsichtlich des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts im Gesundheitswesen unter bioethi-schen Prinzipien bezogen haben (Artikel 45), und legt die genetische Integrität des Menschen fest gemäss Artikel 23, Absatz 2, Abschnitt 2, der, wie wir schon gesehen haben, die ungebührliche Anwendung und Nutzung genetischen Materials des Menschen verbietet.

Die Rechte der Verbraucher sind ein weiteres Verdienst der neuen Verfassung, die sie nach langem Kampf der gesamten Gesellschaft um ihre Anerkennung und Förderung festgeschrieben hat. Das Interessante an dieser grundlegenden Bestimmung (Artikel 92) besteht in der Einführung der zivilen und strafrechtlichen Verantwortung nicht nur für derjenigen, die öffentliche Dienstleistungen anbieten, sondern auch für jene, die Konsumgüter vermarkten (Privatwirtschaft), welche lange als unantastbar galten und Gesundheit sowie körperliches Wohlergehen der Bürger beeinträchtigt hatten. In dieser Norm wird auch die Bildung von Verbraucherverbänden angeregt und die Verantwortung des Staates für Schäden bestimmt, die er bei den Bürgern möglicherweise durch die Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen verursacht. Somit überschreitet das derart festgelegte Gesetz ebenfalls den individuellen Rahmen, nämlich dadurch, dass es kollektiven Charakter annimt.

6. Schlussfolgerungen

Die prinzipielle Anerkennung kollektiver Rechte ist das Ergebnis eines langatmigen Prozesses, der sich von der Annahme der Allgemeinen Menschenrechtserklärung bis zur Akzeptierung der Vereinbarung 169 der OIT im Zusammenhang mit dem internationalen Recht erstreckte. Ein eindeutiges Beispiel dafür ist die ecuadorianische Gesetzgebung. Nichtsdestoweniger gibt es widersprüchliche Aspekte, die noch nicht zu einer notwendigen Übereinkunft haben führen können, welche die allgemeine Verbreitung dieser Gesetze erlaubt, und das vielleicht aus Unkenntnis ihres juristischen Charakters und ihrer Anwendung in der Praxis. Im Land Ecuador selbst wurde die Debatte über der Autonomie der Indianer und die Ausübung einer kollektiven indianischen Justiz eröffnet. Von daher die Notwendigkeit, sich eine eingehendere Kenntnis des Themas anzueignen, um Mythen und Vorurteile abzubauen, die mit oder ohne Grund aus der geringen Vertiefung in diese Rechtskategorie entstehen. Um in einer angemessenen Form zu einer objetiven Betrachtung von Kollektivrechten zu gelangen, müssen wir sie mit anderen Aspekten verbinden, so wie sie gegenwärtig im internationalen Recht analysiert werden:

6.1 Das Recht auf Entwicklung

Die 1986 von der Vollversammlung der UNO verabschiedete Erklärung zum Recht auf Entwicklung betont, dass Entwicklung zwei Aspekte enthält: aktive, freie und grundsätzliche Beteiligung an der Entwicklung einerseits und Nicht-Diskriminierung andererseits. Sie schliesst die Verantwortung der Staaten für die Verwirklichung dieses Rechts ein. Man wendet sich vom Konzept “Almosen” ab und geht zum Konzept “Menschenrecht” als solchem über. Deshalb muss man beim Begriff Indianerpolitik von karitativen Vorstellungen Abschied nehmen und zu solchen übergehen, die auf Rechten basieren.

Das Recht auf Entwicklung kann sowohl von Einzelpersonen als auch von einer Gemeinschaft gefordert werden. Es bedeutet auch die vollständige Verwirklichung des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung, welches das unveräusserliche Recht auf völlige Souveränität über alle Reichtümer und natürliche Reserven einschliesst.

6.2. Technologie contra Umweltschutz

Die Vereinbarung zur Biodiversität äussert sich darüber, wie wichtig traditionelle Kenntnisse für den Schutz der biologischen Mannigfaltigkeit und der Umwelt sind (Art. 8, Paragraph j).

6.3. Negative Auswirkungen von Entwicklungsprojekten

Viele Gemeinschaften und Indianervölker bewohnen Gebiete, in denen ein Überfluss an natürlichen Reserven herrscht (Holz, Mineralien, Erdöl). Im Namen der nationalen Entwicklung werden sie häufig von ihren Ländereien vertrieben. Aktivitäten zur Entwicklung in Indianergebieten führten oft zu Ausgrenzung, Einschleppung von Krankheiten, sozialen Problemen (Alkoholismus und Drogenmissbrauch), Armut, sozialer Auflösung, Gewalt und Abwanderung in die Städte, wo sie offener und systematischer Diskriminierung sowie dem Verlust ihrer Identität anheimfallen. Die Privatisierung und Enteignung ihrer traditionellen Ländereien haben ebenfalls solche Probleme geschaffen.

6.4. Autonomie contra integrierte Beteiligung an der nationalen Entwicklung

Die Hauptstrategie zur Verwirklichung des Rechts auf Entwicklung von Gemeinschaften und Indianern besteht in ihrer vollen und gleichberechtigten Teilnahme an der nationalen Entwicklung einschliesslich in der Teilhabe an den Vorteilen: Vertretung in den demokratischen Einrichtungen (exekutiv, legislativ, judikativ), in den Streitkräften und der Polizei; Massnahmen zur Gewährung des Zugangs zu produktiven Beschäftigungen; Sozialversicherung, Gesundheitswesen, Bildungswesen und Kreditgewährung: Was die Kultur anbetrifft, der Gebrauch ihrer eigenen Sprache und dass die Sozialleistungen der kulturellen Vielfalt angepasst werden müssten (zweisprachige Dienstleistungen); Beteiligung an internationalen Verhandlungen und Wirtschaftsabkommen. Schliesslich steht die indianische Autonomie, verstanden als Rechte auf Selbstverwaltung, die auf die eine oder andere Art die Kontrolle über ihr Territorium und ihre natürlichen Reserven sowie über ihre eigenen Bildungs- und Kommunikationssysteme einschliessen, nicht im Widerspruch zur Entwicklung und zu den nationalen Interessen eines souveränen Staates.

Anmerkungen

1 Stavenhagen, Rudolf: “Die Rechte der Indianer im Internationalen System: ein Thema in Bearbeitung”, Zeitschrift IIDH, San José, 1998.

2 Stavenhagen, ebda., S. 89.

3 Stavenhagen, ebda., S. 95.

4 Dulitzky, Ariel: “Die indianischen Völker: Rechtsnorm des Interamerikanischen Systems zum Schutz der Menschenrechte”, Zeitschrift IIDH, San José, 1998

Bibliographie

BRONSTEIN, Arturo 1999 “Auf dem Weg zur Identität und zur Anerkennung der Rechte der indianischen Völker in Lateinamerika: Synthese einer Entwicklung und Themen zum Nachdenken”, Jahresbericht des Internationalen Seminars zu Justizverwaltung und indianischen Völkern, IIDH, San José.

DULITZKY, Ariel 1998 “Die indianischen Völker: Rechtsnorm des Interamerikanischen Systems zum Schutz der Menschenrechte”, Zeitschrift IIDH, San José.

MOREIRA, María Elena 2000 “Menschenrechte in der neuen Verfassung von Ecuador”, Verlag Abya-Yala, Quito.

STAVENHAGEN, Rudolf 1998 “Die Rechte der Indianer im Internationalen System: ein Thema in Bearbeitung”, Zeitschrift IIDH, San José.



Zeitgenössische Tendenzen und Beziehung zwischen Politikformen von Rechtspflege, Philosophie der Menschenrechte und Schutz der Bürger in Fällen sexueller und ehelicher Gewalt

Dr. María Elena Moreira

I. Innerfamiliäre Gewalt gegen Frauen: Hauptursachen und Folgeerscheinungen

Gewalt gegen die Frau hat viele Erscheinungsformen, die heutzutage als ernstes Hindernis für das Recht der Frau auf vollständige Teilnahme an der Gesellschaft anerkannt sind und die der Entwicklung im Wege stehen. Wie die Expertin Hanna Binstock betont, “kann man behaupten, dass Gewalt gegen die Frau der dramatischste Ausdruck von Ungleichheit ist; der Unterschied zwischen dieser Art von Gewalt und von anderen Aggressionsformen, die sich in den einzelnen Gesellschaften als Ergebnis der Herrschaft äussern, die gewisse Kreise oder Gruppen auf andere ausüben, ist der, dass bei der Gewalt gegen die Frau das Risiko oder die Anfälligkeit schon allein durch die Situation als solche gegeben ist”.1

Die Gesellschaften liefern Formen von Gewalt, die sich auf alle menschlichen Beziehungen auswirken, und zwar in einer Weise, dass sich die strukturelle (soziale, politische und wirtschaftliche) Gewalt auch in der Familie und in den Beziehungen der Geschlechter, so wie sie sich täglich in der Arbeit und beim Studium abspielen, niederschlägt. So besehen ist Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich kein vom sozialen Umfeld unabhängiges Phänomen. Vielmehr ist es das soziale Umfeld selbst, das sie fördert und reproduziert, und zwar durch sexistische Vorstellungen und eine diskriminierende Sozialordnung, die auf historischer Produktion und Reproduktion des Geschlechtersystems beruht. Diese Art von Gewalt hat mannigfache Ursachen, unter denen sich nach Auffassung der Autoren Giberti und Fernández die sie erzeugenden soziokulturellen Bedingungen abheben: auf der einen Seite die Arbeitsteilung der Geschlechter und auf der anderen Seite im Lauf unterschiedlicher Sozialisierung sowie im täglichen Erlernen stereotyper Rollen und psychischer Eigenschaften erworbene ideologisch-kulturelle Aspekte, die Männern und Frauen zugeordnet werden und die, erst einmal mit ihren Identitäten assimiliert, Bedingungen schaffen, die zur Gewalt beitragen. Die den Frauen von der Kultur zugewiesenen Rollen und Eigenschaften engen ihre Chancen und ihre Autonomie ein und entsprechen einer repressiven und symbolischen Gewalt, die sich in den ihnen auferlegten Einschränkungen äussern, als da sind: Zugang zur Arbeitswelt, soziale Teilnahme sowie Übernahme von Entscheidungen und von Macht auf allen ihren Ebenen; das ist das, was man als “unsichtbare Gewalt” bezeichnet und in die sich die objektiven Situationen von Aggressionen einreihen, seien sie körperlicher, psychi-scher oder sexueller, direkter oder indirekter Art.

Die häusliche Gewalt stellt die Familie als eine soziale Einrichtung, die Sicherheit, Schutz und Zuneigung gewährt, in Frage. Denn die Familie bezieht ihre Struktur aus starken Banden von Herrschaft und beträchtlichen Ungleichheiten in den Machtbeziehungen, die sich negativ auf die Frauen auswirken; die ihnen im Eheleben zugewiesene Rolle be-steht in Unterwürfigkeit, Abhängigkeit und Akzeptierung der unbestrittenen Autorität des Mannes und eines Bündels von Normen und Verhaltensweisen, die ihre Entwicklung einschränken. Deshalb wird die Gewalt im Kreis der Familie als Machtmittel benutzt.

Es muss betont werden, dass durchgeführte Studien darauf schliessen lassen, dass man die Geschlechtergewalt im allgemeinen nicht allein dem häuslichen Milieu oder persönlichen Pathologien bzw. psychi-schen Störungen und auch nicht nur sich aus der sozioökonomischen Struktur abzuleitenden Faktoren anlasten kann. Denn Aggressionen und Misshandlungen kommen in allen sozialen Schichten vor. So gibt die Resolution 1990/15 des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen zu, dass Gewalt gegen die Frau in Familie und Gesellschaft alle sozialen Schichten und Kulturen durchdringt und überschreitet. Darüber hinaus werden Alkoholismus, Pensionierung, beengte Wohnverhältnisse und andere Probleme nicht als direkte Ursachen der Gewalt, sondern als auslösende oder damit verbundene Faktoren angesehen.

Die im familiären Kreis sich abspielende Geschlechtergewalt hat soziale, wirtschaftliche und politische Folgen für die ganze Gesellschaft. Denn sie reproduziert und verewigt ein System von Diskriminierung und Unterordnung für die Hälfte der Bevölkerung und stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar. Für den Autoren Rico spiegelt diese Gewalt das Fehlen einer sich durch grössere Ausgewogenheit der sozialen Beziehungen auszeichnenden soziopolitischen Struktur wider, wie sie zum Ausbau von Demokratien beitragen könnte und die zugleich ein Element ist, das auf direktem oder indirektem Weg eine harmonische Entwicklung der Länder abbremst.

Die Gewalt gegen Frauen ist Grund der Besorgnis für verschiedene internationale Organisationen, und das nicht nur wegen ihrer individuellen physischen und psychischen Folgen, sondern auch, weil sie eine erhöhte Inanspruchnahme allgemeiner Gesundheits- und Notfalldienste bedeutet und wegen der hohen Kosten für die Länder. Im 1993 veröffentlichten Wirtschaftsbericht der Weltbank wurde in den Marktwirtschaften die Anzahl gesunder Lebensjahre vermerkt, die die Frauen im Fortpflanzungsalter (15 bis 44 Jahre) aufgrund vorzeitigen Todes oder wegen direkt auf Aggressionen gegen Frauen zurückzuführende, durch Vergewaltigungen und häusliche Gewalt bedingte Krankheiten, verloren haben. Obwohl diese Probleme an sich nicht als Krankheiten bezeichnet werden können, sind sie darüber hinaus doch Risikofaktoren, die eine Zunahme gewisser Erscheinungsformen bedingen, wie etwa Trauma, Depression und Frauenmord.

Die Gewalt verhindert auch die Teilnahme der Frauen an Entscheidungen sowohl zu Hause als auch im beruflichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich über das, was ihre öffentliche Teilnahme und folglich die Ausübung ihrer Bürgerrechte direkt betrifft. Desgleichen kommt zum sozialen Preis der Gewalt gegen Frauen die Untätigkeit der Gesellschaft hinzu, die keinerlei Massnahmen zum Schutz der Menschenrechte der Frauen ergreift und deshalb ignoriert, was tagtäglich geschieht, und eine öffentliche Diskussion über solche Delikte, ihre politische Bedeutung und ihre soziale Wiedergutmachung scheut. Gewalt gegen Frauen ist eine Verhaltensweise, die als eine Form ehelicher Beziehung aufgefasst wurde und die aufgrund des Vorurteils, sich nicht in die Privatangelegenheiten des Ehe- und Familienlebens einzumischen, sowohl von der Gesellschaft als auch von den Opfern selbst totgeschwiegen wurde.

Dennoch ist die Anzeige von Aggressionen und Misshandlungen zu Hause von seiten der Frauen ein neuartiges Phänomen. Es ist einerseits auf die Schaffung von Institutionen zurückzuführen, in denen sie Polizei- und Rechtsschutz beantragen können, und andererseits auf die Tatsache, dass sich immer mehr Frauen ihrer Rechte als Personen und Bürger bewusst worden sind dank der doktrinären und juristischen Erweiterung solcher Rechte und der zeitgenössischen Tendenzen, die auf diesem Gebiet zum Tragen gekommen sind, wie wir anschliessend sehen werden.

II. Zeitgenössische Tendenzen im Kampf gegen innerfamiliäre Gewalt: vom Privaten zum Öffentlichen

Wie wir schon gesehen haben, hat die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Abhängigkeit der Frauen sie in der Geschichte zu untergeordneten Wesen und besonders anfällig für männliche Aggression gemacht. Die rechtliche Abhängigkeit zeigt sich schon im Römischen Recht, und zwar bei den Einrichtungen der väterlichen und ehelichen Gewalt. Im Mittelalter tolerierten die Religionen die physische Aggression gegen Frauen. Im 18. Und 19. Jahrhundert duldete das Familienrecht die Rechte der Männer, Missbräuche zu begehen. Denn physische Gewalt gegen die Ehefrau wurde als eine “strafende Zurechtweisung” angesehen, wie uns die Autorin Hanna Binstock mitteilt. In der napoleonischen Gesetzgebung galt die Frau genauso wie Minderjährige als rechtsunfähig. Zum Beispiel in den lateinamerikanischen Gesetzgebungen, die auf die römische und napoleonische Gesetzgebung zurückgehen, wurde der Begriff Eigentum und männliche Autorität bis vor wenigen Jahren zum Nachteil der Frauen umschrieben, da diese rechtlich als “ewige Minderjährige oder Behinderte” betrachtet wurden.

Obwohl die Organisation Amerikanischer Staaten schon in den zwanziger Jahren begann, konkrete Massnahmen gegen die rechtliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts 2 zu ergreifen, legte die tägliche Praxis der Gewalt gegen Frauen in den Familien die Unzulänglichkeiten der Rechtssysteme bloss, und das aus Mangel an Rechtspersönlichkeiten, die solche Delikte einstufen, die Aggressoren bestrafen und die Opfer schützen könnten. Man kann das Fehlen einer spezifischen Gesetzgebung nicht nur als einen Mangel ansehen, sondern auch als eine Mittäterschaft des Gesetzes an der diskriminierenden sozialen Wirklichkeit der Frauen, die zur Unsichtbarkeit des Phänomens beitrug.

Insgesamt gesehen handelt es sich nicht um ein neuartiges Phänomen, sondern um eins, das lange Zeit wenig erkannt und nicht als Problem betrachtet worden war, da es auf Verhaltensweisen beruhte, die in der Vergangenheit akzeptiert worden waren und darüber hinaus auf den Bereich des Privatlebens beschränkt blieben. Die Unterscheidung zwi-schen öffentlicher und privater Sphäre hat zweifellos die Verteidigung der Rechte der Frauen entkräftet. Selbst heute noch werden die Frauen der Familien in der Gesellschaft durch die vom Mann angeführte Familieneinheit repräsentiert, und deshalb konnte das Thema Frauen als Haushaltsvorstände, das in den letzten Jahren auftauchte, noch keinen Eingang in die Sozialstruktur finden, da diese sich nach wie vor auf die männliche Vorherrschaft stützt. Der von der Frauenbewegung seit Mitte der fünfziger Jahre ausgegangene Impuls hob das Thema innerfamiliäre Gewalt auf internationale Ebene. Als Folge der feministischen Bewegungen in den sechziger Jahren wurde in Europa eine Reihe von Reformen zum Familienrecht eingeführt, die sich an dem Gleichheitsprinzip von Kindern, dem Vater und der Mutter sowie der Ehegatten orientieren.

Seit 1977, dem Jahr, in dem der Regionale Aktionsplan zur Eingliederung der Frau in die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ins Leben gerufen wurde, erkannte man in Lateinamerika die Notwendigkeit, die mit sexueller und physischer Gewalt gegen die Frau verbundenen Gesetzgebungen und gültigen Rechtsnormen einer Überprüfung zu unterziehen. Die Annahme des Abkommens zur Ausmerzung aller Formen von Diskriminierung der Frau von 1979 bestärkte diese Reformvorgänge. In diesem Plan werden ausserdem Massnahmen empfohlen, die sicherstellen, dass die mit solchen Delikten verbundenen Untersuchungen vertraulich abgewickelt werden (CEPAL 1977), und in den Ländern der Region wurden bedeutende Anstrengungen zur Verkündung spezifischer Gesetze zu diesem Thema unternommen. Andererseits hat die Reform des Bürgerlichen und Strafgesetzbuches und der Gesetze im allgemeinen, die in den achtziger Jahren im Licht der Prinzipien der europäischen Doktrin aus den sechziger Jahren begonnen hatte, das Problem zu einer politischen Anteilnahme erhoben.

Vor dem Vertrag der Vereinten Nationen zur Ausmerzung aller Formen von Diskriminierung der Frau betrachteten die Diskussionen in der Kommission zur Rechtlichen und Sozialen Stellung der Frau und andere internationale Foren das Thema Gewalt nicht als ein Menschenrechtsthema, das den Regierungen eine Antwort abverlangte; im Gegenteil, das Phänomen blieb auf gewisse Kategorien von Frauen beschränkt, wie weibliche Flüchtlinge und Wanderarbeiterinnen. Ein Teil der internationalen Gemeinschaft betrachtete Gewalt gegen die Frau als privates Thema zwischen Einzelpersonen und nicht als öffentliches Menschenrechtsthema, das die Regierungen und die internationale Gemeinschaft zum Handeln auffordert.

Für die Expertin Hanna Binstock hat die “Annahme des Vertrags von 1979, der zwar ein Markstein beim Ausbau des Schutzes der Rechte der Frau darstellte, das Thema aber nicht deutlich zur Sprache gebracht; es wird lediglich gestreift, nämlich mit der Aufforderung an die Staaten, geeignete Massnahmen zur Änderung der soziokulturellen Verhaltensmuster zu ergreifen, um die Ausmerzung von Vorurteilen und gewohnheitsmässigen, auf der Überlegenheit oder Unterlegenheit des einen oder des anderen Geschlechts basierenden Praktiken zu erreichen. Dennoch war dieser Vertrag einer der Ausgangspunkte für eine Reihe von internationalen Resolutionen, die das Thema endgültig dem privaten Bereich entzogen haben, da er von den Regierungen die Ausmerzung der Diskriminierung nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Bereich verlangt.” 3

Für die Vereinten Nationen bestand der Hauptbeitrag der Frauenbewegung zum Thema Menschenrechte darin, dass er die sozial verankerte Vorstellung von Gewalt gegen Frauen als eine Privatangelegenheit überwunden hatte und dass er alle Formen von Gewalt gegen die Frau einschliesslich häuslicher Missbräuche als ein Thema für öffentliche und internationale Anteilnahme betrachtet.

Die Problematik der Gewalt gegenüber der Frau wurde ausdrücklich und zum ersten Mal im Jahre 1980 auf der in Kopenhagen einberufenen Weltkonferenz des Jahrzehnts der Vereinten Nationen für die Frau aufgeworfen. Unter ihren 48 Resolutionen befindet sich eine mit dem Titel “Die misshandelte Frau und die Gewalt in der Familie”. In dieser Resolution wird zugegeben, dass Misshandlungen von Familienangehörigen ein ernstes Problem mit schwerwiegenden sozialen Folgen darstellen, ein Problem, das von einer Generation zur anderen weitergereicht wird.

Im Jahre 1982 entschied der in Genf einberufene Wirtschafts- und Sozialrat, dass Misshandlungen von Frauen und Kindern, Gewalt in der Familie und Vergewaltigungen eine Beleidigung der Menschenwürde darstellen. Im Jahre 1983 enthüllte eine von den Vereinten Nationen durchgeführte weltweite Umfrage zur Situation der Frau und zur Anwendung der Strafrechtssysteme den Ernst der häuslichen Gewalt und die Unzulänglichkeit des Strafrechts in dieser Angelegenheit.

Die Weltkonferenz von Nairobi, die den Abschluss des Jahrzehnts der Vereinten Nationen für die Frau bildete, fügte im Jahre 1985 die Gewalt gegen die Frau in der Familie als ein mit dem Frieden in Zusammenhang stehendes Thema hinzu, und zwar mit dem Hinweis, dass Schläge, Verstümmelungen, Verbrennungen, sexueller Missbrauch und Vergewaltigung ein entschiedendes Hindernis für den Frieden darstellen; sie stellte die Ausmerzung der Gewalt in der Familie als vorrangig hin und warf die Notwendigkeit auf, dass die Regierungen versuchen sollten, in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass Gewalt gegen die Frau ein soziales Phänomen ist. Aber Gewalt gegen die Frau wurde noch nicht als eine Verletzung der Menschenrechte aufgefasst.

Es war erst im Jahre 1986, als der Wirtschafts- und Sozialrat er-klärte, dass Gewalt in der Familie eine schwere Verletzung der Rechte der Frau darstellt.

Im August 1992 legte die Kommission zur Rechtlichen und Sozialen Situation der Frau ein Projekt Erklärung zur Gewalt gegen die Frau, das von der Vollversammlung im Dezember 1993 angenommen wurde, vor. In der erwähnten Erklärung wird zugegeben, dass Gewalt gegen die Frau ein Hindernis für die Erreichung von Gleichheit, Entwicklung und Frieden darstellt und dass die Chancen für die Frau zur Erreichung rechtlicher, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Gleichstellung fortwährend eingeschränkt werden durch die Gewalt.

Im Jahre 1994 begann eine neue Phase im Kampf gegen innerfami-liäre Gewalt, als die Menschenrechtskommission einen Sonderberichterstatter ernannte, um Informationen einzuholen und Empfehlungen für nationale, regionale und internationale Massnahmen zur Ausmerzung der Gewalt gegen die Frau und ihrer Ursachen auszu-sprechen. Diese Aktion war das direkte Ergebnis der Empfehlung der 1993 in Wien veranstalteten Weltkonferenz zu Menschenrechten, die die Gewalt gegen die Frau als Menschenrechtsthema auffasste. Im November 1994 schlug der Sonderberichterstatter die Formulierung eines Wahlweisen Protokolls zur Vereinbarung von 1979 vor, welches Opfern von Gewalt ein Recht auf individuelles Ansuchen zugestand, wenn die lokalen Instanzen ausgeschöpft waren. Dieser Vorschlag wurde 1995 gebilligt.

1995 bat die Vollversammlung die Staaten dringend, in ihren Gesetzgebungen die Strafsanktionen sowie die zivilen, arbeits- und verwaltungsbezogenen Strafen zu verschärfen, um die Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich, am Arbeitsplatz, in der Gemeinde und in der gesamten Gesellschaft zu ahnden; und sie bezeichnete alle Formen se-xueller Gewalt und sexuellen Handels als eine Verletzung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen.

Die 1995 angenommene Aktionsplattform schlug auf der in Beijing einberufenen Vierten Weltkonferenz zur Frau vor, nach den Ursachen für die Gewalt gegen die Frau zu forschen und Methoden zur Ausarbeitung von Vorbeugungsstrategien zu suchen. Im lateinamerikanischen Bereich führte die Internationale Frauenkommission (CIM) im Juli 1990 die erste Interamerikanische Befragung zur Frau und zur Gewalt durch, und 1994 wurde in Belém do Pará die Interamerikanische Vereinbarung zu Vorbeugung, Bestrafung und Ausmerzung von Gewalt gegen die Frau gebilligt. Diese Vereinbarung erkennt an, dass die von Vertretern der Staatsgewalt oder von Privatpersonen ausgeübte Gewalt gegen die Frau eine schwere Verletzung der Menschenrechte darstellt und dass folglich die Staaten Verantwortung dafür tragen, sie zu bestrafen, ihr vorzubeugen und sie auszumerzen.

Die Antwort der Länder der Region auf das Thema Gewalt gegen die Frau war die, Sondergesetze zu verabschieden, vor allem solche zur Gewalt in der Familie oder zu häuslicher Gewalt (Ecuador verabschiedete sein eigenes Gesetz im November 1995), Normen zu sexueller Belästigung einzuführen und einige Reformen in den normativen Straftexten vorzuschlagen, um Aggressionen gegen die Frau als Delikt zu kennzeichnen. Diejenigen Länder, die die Pläne zur Gleichberechtigung angenommen hatten, haben das Thema ausdrücklich mit aufgenommen. (Ecuador hat es 1996 gebilligt). Diese Bewegung zugunsten einer Legislative nahm ihren Anfang im Jahre 1989, in dem Jahr, als Puerto Rico das Gesetz 54 zu Vorbeugung von und Einschreitung bei häuslicher Gewalt verabschiedete. All diese so verkündeten Gesetze entsprechen den Prinzipien der Erklärung zur Ausmerzung von Gewalt gegen die Frau und denen der Interamerikanischen Vereinbarung. Ausserdem wiederholen sie das auf der Konferenz von Nairobi Festgelegte. Sie stellen einen grossen Fortschritt dar, denn sie machen das Thema in der Gesellschaft sichtbar, und sie sind ein Werkzeug im Kampf gegen Gewalt, und das nicht nur zum Schutz der Frau, sondern auch zum Schutz der Familie. All diese erlassenen Gesetze sind in einer Rechtsstrategie zugunsten der Opfer festgeschrieben und haben für die Aggressoren abschreckenden und repressiven Charakter. Was ihren Inhalt anbetrifft, so fügen einige von ihnen Elemente der Staatspolitik hinzu, und in allen wird die Gewalt als solche definiert. Es wurden Anzeigeinstanzen geschaffen und mehr oder weniger rasche Verfahren sowie Schutzmassnahmen für die Opfer und Strafen für die Schadensverursacher eingeführt.

Diese historische Rückschau auf die Fortschritte in der Gesetzgebung gegen innerfamiliäre Gewalt lässt den Schluss zu, dass die gegenwärtige Tendenz, das Thema vom privaten in den öffentlichen Bereich überzuführen, es mit sich bringt, dass die Verletzung der Menschenrechte der Frauen sich nicht auf direkt von den Regierungen begangene oder gedeckte Akte beschränkt, sondern dass diese die soziale und politische Verantwortung für von Dritten begangene Straftaten tragen, wenn sie nicht die notwendigen Massnahmen zu Vorbeugung, Untersuchung und Bestrafung von Gewaltakten getroffen haben. Unter diesem Kriterium macht sich der Staat zum Komplizen der Straftaten, wenn er den Frauen nicht den nötigen Schutz vor der Verletzung ihrer Rechte gewährt sowie weil er in diskriminierender Weise handelt, indem er Gewaltakte gegen Frauen nicht verhütet und bestraft und somit den Frauen den Schutz durch das Gesetz unter gleichen Bedingungen verweigert. Desgleichen ist die Unfähigkeit des Staates, den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen, die Gewaltakte gegen Frauen begünstigen, ein Ende zu bereiten, bestimmend dafür, dass er für diese Situation verantwortlich ist. Denn er hat aktiv zur Ausmerzung von Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, wie sie sich in den Beziehungen der Geschlechter zeigen, beizutragen. Allerdings hebt die bejahende Verpflichtung des Staates, die Menschenrechte aller Bürger (Frauen und Männer) zu schützen, den Konflikt zwischen einem möglichen willkürlichen Eingriff des Staates ins Privatleben von Einzelpersonen und ande-rerseits der Kontrolle all dessen, was die Schaffung gleichberechtigter Beziehungen in den Familien verhindert, nicht auf; beide Alternativen erfordern eine detaillierten Analyse und müssen sich in den Rahmen der individuellen Freiheiten einfügen.

Da Menschenrechte unteilbar sind, dürfen nicht einige Rechte mehr anerkannt und verteidigt werden als andere. Die Rechte der Frauen haben die gleiche Aufmerksamkeit zu geniessen wie alle übrigen Rechte, und das gemeinsam mit denjenigen Rechten, die als dringlicher und wichtiger angesehen werden. Eine integrale Problemstellung in bezug auf Menschenrechte ist das einzige, was die tatsächliche Existenz eines jeden von ihnen sicherstellt, damit sie nicht zu blossen formalen Kategorien verkürzt werden. In diesem Sinn haben die unbestreitbaren Fortschritte, die in der Region bei der Erweiterung der formalen Rechte für die Frauen erzielt wurden, noch keine Ergänzung durch ihre praktische und tägliche Anwendung inner- und ausserhalb der Sphären der Rechtsprechung erfahren; obwohl also der legislative Fortschritt eine grössere deklaratorische Abdeckung bedeutete, bleiben die Chancen zur Ausübung ihrer Rechte von seiten der Frauen eingeschränkt durch immer noch vorhandene ideologische Schranken.

III. Gewalt gegen die Frau und Rechtspflege

Obwohl das Prozessrecht eine logische Folge der Rechtsmandate sein sollte, haben in den Ländern, wo man das Delikt schon eingestuft hat, die Strafnormen anscheinend keine Wirkung. Denn die Verfahren sind als Aufklärung von Geschehnissen gedacht, die sich an öffentlichen Plätzen und bei Personen mit Gefühls- oder Verwandtschaftsbanden abgespielt haben. Es ist durchaus üblich, dass, wenn Frauen ein Rechtsverfahren einleiten, die Anzeigen nicht vorangehen; das liegt unt